Piraten-Parteitag, Tag 1

Ich bin das erste Mal auf einem Parteitag der Piraten. Ein paar Sachen nach Tag 1.

Die Partei lebt. Knapp 900 Seiten Anträge, zu allen möglichen Themen, zusammengetragen, diskutiert und irgendwie befunden von allen Parteimitgliedern. 1300 Piraten kommen nach Offenbach und diskutieren ernst, diszipliniert und leidenschaftlich über bedingungsloses Grundeinkommen, Zwangsmitgliedschaften in Handelskammern und Rassismus. Ich stehe mehrmals im Saal und denke: Wenn die anderen Parteien Programm und Modus der Piraten wirklich gut und glaubwürdig übernehmen, sagen die meisten hier: Na, wunderbar. Mission erfüllt. Aber kaum vorstellbar, dass die bald wieder von der Bildfläche verschwinden.

Ich hatte das Gefühl: Hier arbeitet eine Partei an Inhalten. Vieles ist unausgegoren, manches Mist, aber Sinnvolles wird nach oben gespült und kann von sich behaupten: Besser legitimiert ist kein Programmpunkt einer deutschen Partei.

Bei der Diskussion über das bedingungslosen Grundeinkommen haben selbst die nicht arbeitenden Journalisten im Presseraum vor den Bildschirmen gesessen und zugehört. Ich weiß nicht, ob das bedingungslose Grundeinkommen der richtige Weg ist. Aber er ist revolutionär. Ob er Sinn macht, hängt von der Umsetzung ab – die perfekte Piraten-Idee also. Wiedermal tragen die Piraten ein Thema in die Parteiendemokratie, in die Parlamente, die nicht zu Ende gedacht ist, aber voller Potential steckt, eine verbeulte Realität aufzuhübschen. Wiedermal sind die Piraten Geburtshelfer für eine Vision, die die anderen Parteien jetzt nicht mehr ignorieren können. Sie müssen sich dem Thema widmen. Allein die Aktivierung dieser Diskussion – egal mit welchen Ausgang – ist ein Verdienst dieses Parteitags in Offenbach.

Noch was. Die gute Seele der Männerpartei ist eine Frau. Marina Weisband würde auch den Burning Man staubfrei überstehen, im Creme farbenen Kleid ihre Handtasche durch die ehrfurchtsvollen Nerds tragen und sagen: “Reisst Euch zusammen!” Und alle reißen sich zusammen. Marina Weisband ist wie ein Coach, der sich selten zu Wort meldet, dann aber einen ganzen Saal in ihren Bann zieht. In Offenbach betrat sie die Bühne und alle verstummten. Ihre kurze Ansprache, frei vorgetragen, kam von Herzen, erwärmte die Herzen und gab dem Parteitag mit wenigen Worten Wärme, Vision und Richtung: Wir sind eine tolle Partei, haben viel erreicht und dürfen uns streiten, aber bitte mit Respekt: “Reisst Euch zusammen!” Und alles reißen sich zusammen. Die chaotisch-bissige Atmosphäre der ersten Stunden war weg, es begann die Debatte ums BGE. Marina Weisband wäre eine ziemlich gute Vorsitzende.

Wenn die Piraten es morgen noch schaffen, ein paar konsistente Positionen zu Europa, Wirtschaft und dem Verhältnis von Kirche und Staat zu Wege zu bringen, wird dieser Parteitag als das Ende der Pubertät dieser Partei in die Wikis dieser Welt eingehen.

Leistungsschutzrecht könnte verfassungswidrig sein

Für Til Kreutzers Portal Leistungsschutzrecht.info habe ich mit dem Gerald Spindler, Professor für Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Göttingen, ein Interview gemacht. Spindler erklärt, warum er ein Leistungsschutzrecht für Verlage in der diskutierten Form für verfassungswidrig hält.

Leistungsschutzrecht könnte verfassungswidrig sein weiterlesen

Datenschau

Ich experimentiere ja schon seit einiger Zeit herum, was man mit (Live-)Video in Podcasts so machen kann. Nach den üblichen Rückschlägen habe ich jetzt zumindest einen brauchbaren Workflow zusammen, der einen erstmal brauchbaren Videostream auswirft. Viele sagen, sie bräuchten kein Video-Bild zum Podcast, Audio reiche Ihnen aus. Das kann ich verstehen, geht mir in der Regel auch so. Ich verstehe Video als Zusatzangebot. Wer will, schaut sich den Stream an, wer nicht will, lässt es. Ich möchste mir die Technik aber aneignen, weil es zum einen Spaß macht, aber eben auch, weil ich denke, dass sicher mal Formate auftauchen, wo ein (Live-) Video-Bild wirklich Sinn macht. Und wenn das Ei da ist, taucht irgendwann die Henne auf. So auch diesmal.

Als Lorenz Matzat vor Wochen zu Gast im Medienradio war, hielt ich meinen üblichen Keine-Ahnung-wer-das-sehen-will-aber-wir-können-jetzt-alle-mit-wenig-Geld-Fernsehen-machen-Vortrag. Nun ist Lorenz jemand, der sehr visuell arbeitet, große Datenmengen in Bilder, Filme, Anwendungen gießt, um sie zu visualisieren, verständlicher zu machen. Und so entstand die Idee der Datenschau.

Rund einmal im Monat eine lockere Runde über Daten-Visualisierung, Big Data, Datenjournalismus. Live und als Podcast (Feed folgt). Mit dabei sind Marcus Bösch und Anna Lena Schiller, die beide ihre ganz eigene Perspektive auf Datenberge beisteuern. Marcus beschäftigt sich seit langem mit Gamification, also der Informationsvermittlung durch Spiel. Anna Lena zeichnet, übersetzt die Welt in Bilder. In der Datenschau tragen wir sehenswerte Visualisierungen zusammen, zeigen Techniken, begleiten die Entwicklung dieser noch jungen Disziplin.

Ich finde das Thema wichtig, weil es der Weg sein wird, unsere Welt darzustellen, die zunehmend aus riesigen Datenmengen bestehet, deren Geschichten mit Texten allein nicht zu erzählen sind. Und natürlich finde ich es toll, dass Video jetzt mal Sinn macht ;)

Geplant ist, dass wir drei gute Kameras haben und jeder seinen Rechner zuspielen, also den Bildschirminhalt im Video zeigen kann. Leider gibt es Lieferschwierigkeiten, so dass wir unsere Nullnummer mit meinem noch etwas rumpeligen Setup machen müssen. Zwei der drei Kameras machen keine guten Bilder und sind schlecht positioniert; andere Rechner zeigen wird wohl auch noch nicht gehen. Aber wir wollen jetzt einfach mal anfangen. Schaut doch mal rein, sagt, was Ihr davon haltet.

DS001 Datenschau
Live
Heute, 15.9., 21.30
http://www.datenschau.org/

Twitter: Datenschau

Cyberwar (Elektrischer Reporter)

Habe mal wieder für die Kollegen des Elektrischen Reporter einen kleinen Beitrag gemacht, diesmal: Cyberwar. Die Interviews sind entstanden, als ich in Tallinn war bei der Cyberwar-Konferenz der NATO.

Zu Wort kommen:

Thomas C. Wingfield
Ilmar Tamm, Direktor NATO CCD COE
Charlie Miller, Ex-NSA, Hacker
Ralph Langner, IT-Berater, Stuxnet-Analyst

Googles “Institut für Internet und Gesellschaft” – ein Armutszeugnis

Das komplett von Google finanzierte “Institut für Internet und Gesellschaft” ist ein Armutszeugnis für die deutsche Forschungs-Gemeinde. Das Internet revolutioniert unsere Welt wie lange nichts mehr und die deutschen Hochschulen schaffen es nicht, zumindest ihre überschaubaren Aktivitäten in diesem Bereich unter einem Dach zu bündeln? Jetzt kommt Google, aktiviert den “Start up mode” (Google) und sagt: Leute, hier muss was passieren, wir brauchen ein Institut, dass sich allein ums Internet kümmert – hier sind 4,5 Millionen Euro für drei Jahre. Das sind 1,5 Mio. pro Jahr. Im akademisch Betrieb ist das nicht mehr als eine Anschubfinanzierung und reicht nicht mal für zwei Dutzend Institutsmitarbeiter.

Und das sollen die deutschen Hochschulen nicht selber stemmen können? 4,5 Millionen Euro, um die Auswirkungen des Internets auf unsere Gesellschaft zu erforschen? Natürlich wäre das Geld zu beschaffen gewesen – wenn die deutsche Wissenschaftsgemeinde gewollt hätte. Aber ihr ist das Internet nicht wichtig genug. Natürlich forscht man hierzulande am Urheberrecht, an Geschäftsmodellen, an Datenschutz. Aber international fallen deutsche Netz-Forscher nicht weiter auf und ein eigenes Institut? Nö. Aus ihrer Fehlplanung macht zumindest die WZB-Präsidentin keinen Hehl: “Wir haben uns auf andere Felder festgelegt.”

Jetzt könnte man sagen: Na, besser spät als nie. Aber so einfach ist das nicht. Weil die deutschen Wissenschafts-Entscheider zu beschränkt sind, die deutschen Forscher international nicht wichtig genug, muss Google Geburtshelfer spielen. Das kann man Google nicht übel nehmen. Die deutschen Netz-Forscher aber stehen blamiert da. Nicht nur, dass sie auf einen der größten Internet-Konzerne warten mussten, um ein Internet-Institut zu gründen. Sie lassen sich auch noch für lumpige 4,5 Millionen Euro Ihre Glaubwürdigkeit zerbeulen.

Natürlich wird Google ihnen nicht vorschreiben, was sie zu erforschen oder zu unterschlagen haben; natürlich behaupten alle, sie seien unabhängig und würden ihre Arbeiten nicht von Google abnicken lassen. Das wäre ja auch noch schöner.

Das Problem ist aber: Die Schere im Kopf fängt an zu schnippeln, lange bevor irgend jemand irgendwas verbieten könnte.

Wenn ein Wissenschaftler Vollzeit und zu 100 Prozent von Google finanziert zu – sagen wir – Datenschutz forscht, dann wird er irgendwann vor der Frage stehen, wie er mit Googles Diensten umgeht. Natürlich ist Verschweigen keine Option. Die Gewichtung ist aber mindestens ebenso wichtig: Muss man die Buzz-Pleite heraus heben? Wie hoch hängt man die Datensammelei der Android-Telefone? Wie genau schaut man sich Google Plus an?

Nie wird Google irgendwas unterdrücken wollen – das passiert von ganz alleine, weil sich die Forscher fragen werden, wie sehr sie den Geldstrom gefährden wollen, der sie komplett finanziert: Ist wirklich nötig, Google schon im Titel der Studie anzugreifen? Kritisieren, klar das machen wir, aber reicht´s nicht vielleicht auch im letzten Kapitel?

Und das Fatale ist: Selbst, wenn es den Wissenschaftlern gelingt, sich so zu entscheiden, als wäre es nicht ihr Geldgeber, den sie anpinklen: Den Verdacht der Befangenheit werden sie nicht los.

Und es ist ein Armutszeugnis, dass sich die Wissenschaft diesem Verdacht aussetzt, weil angeblich keine 4,5 Millionen Euro da sind.

Doch weil die deutsche Wissenschaft ist wie sie ist, ist es leider gut, dass Google den Schritt macht und den Zug endlich mal aufs Gleis setzt. Der Plan ist, andere Geldgeber ins Boot zu holen, damit die Internet-Forscher irgendwann auch ohne Stütze vom Google forschen können. Deswegen hat die deutsche Wissenschaftsgemeinde nur eine Möglichkeit, diese Peinlichkeit vergessen zu machen: Werft so schnell wie möglich so viel Geld wie möglich auf das Institut, bis es auf seine Unabhängigkeit nicht mehr hinweisen muss.

Die dctp-Interviews zu “Cyberwar”

Ich war mit dctp.tv (Geschäftsführer Jakob Krebs, rechts) vom 6.-10. Juni 2011 in Tallinn auf der Konferenz des CCDCOE, einem Forschungszentrum der NATO, dass sich mit Konflikten im Netz beschäftigt und nach den Angriffen auf estnische Server 2007 eingerichtet wurde. Wir haben drei Tag lang versucht, die guten Leute auf unsere Couch im 2. Stock des Estonian Drama Theatre zu zerren. Einige Interviews findet Ihr weiter unten in diesem Blog, die komplette Sammlung wie immer bei dctp.tv als Themenschleife “Cyberwar”.

Ich finde den Begriff Cyberwar aus mehreren Gründen merkwürdig. Zum einen wird er für alles möglich gebraucht und verharmlost damit einen Krieg, den wir nicht haben. Das wird in den Interviews, denke ich deutlich. Ich habe das hier und hier auch noch mal aufgeschrieben. Zum anderen ist dieses Wort “Cyber” (WP) ganz schön aufgeladen. Offenbar bezeichnete es nach dem Krieg komplexe Systeme in der Tierwelt, dann wurde es mehr und mehr auf Phänomene digitaler Vernetzung angewendet. Heute wird das Präfix “Cyber” zumeist in bedrohlichen Zusammenhängen verwendet. Ich bin mir noch nicht sicher, ob das gut ist, weil dann nicht das “Internet” oder alles “Digitale” an allem schuld ist. Vielleicht ist es auch schlecht, weil “Cyber” dann eben stets negativ besetzt ist. Aus Mangel an besseren Alternativen benutze ich das Wort und seine Schwestern in den Interviews recht unkritisch. Ich bitte, mir das nachzusehen. Feedback ist natürlich immer gern gesehen.

Podcast

Ja, ich will, dass diese aktuellen und alle bisherigen Interviews als Podcast erscheinen – Video wie Audio. Ich kann aber noch kein Datum nennen. Sobald es soweit ist, werde ich hier Bescheid geben.

In diesem Podcast-Feed befinden sich recht alte Interviews. Ich denke, dass die aktuellen, wenn sie auftauchen, dann auch dort auftauchen.

Wird die Cyber-Gefahr überbewertet, Mr. President?

Die DDoS-Attacken auf estnische Webseiten 2007 waren “primitiv”, sagt der estnische Staatspresident Toomas Hendrik Ilves. Wir bereden, ob die Bedrohung eines Cyberkriegs überbewertet wird, warum bisher keine Beweise für seine Bedrohung vorliegen und welche Konsequenzen Nationalstaaten aus den bisherigen Cyber-Attacken ziehen sollten.

Charlie Miller: “Bomben gegen Bits? Wirklich?”

Charlie Miller war fünf Jahre bei der National Security Agency (NSA), dem undurchsichtigen Abhör-Nachrichtendienst der USA. In Sicherheitskreisen wurde er berühmt, weil Miller regelmäßig Pwn2Own gewann, einen Wettbewerb, bei dem es darum geht, Sicherheitslücken zu nutzen, um Computer zu knacken. Der heutige Sicherheitsberater über Abwehrstrategien gegen Cyber-Angriffe und den “absurden Plan” der USA, Computerattacken mit Bomben zu vergelten.

Die vier Stufen internationaler Konflikte

Tom Wingfield ist Professor für Internationales Recht am George C. Marshall European Center for Security Studies und schreibt ein juristisches Regelwerk für Cyber-Konflikte. Im Interview legt Wingfield dar, wann ein Konflikt im Netz zum Krieg wird und warum es so schwer ist, angemessen zu reagieren, wenn der Angreifer nicht sicher bestimmt werden kann.

Stuxnet – erster Kriegsakt im Cyberspace?

Ralph Langner berät die deutsche Industrie, wie sie ihre Produktion absichern kann. Als bekannt wurde, dass ein Computer-Wurm die iranischen Atomanlagen in Buscher sabotiert haben könnte, begann er seine Analyse. Im Gespräch erklärt Langner, wie Stuxnet funktioniert und wer Absender sein könnte der “bisher gefährlichsten Cyberwaffe”.