Habe für den Deutschlandfunk ein kleines Stück gemacht über Protestformen im Netz. Hier Text und Audio.
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“Ich glaube nicht, dass sich viel mehr Menschen politisiert haben, nur weil das Internet da ist. Aber diejenigen, die politisch aktiv sind, haben durch das Internet ein Werkzeug bekommen, was politische Arbeit ungemein vereinfacht.”
Markus Beckedahl ist einer der bekanntesten Internetaktivisten Deutschlands. Internetzensur, Informationsfreiheit, Telekommunikationsüberwachung – seine teils europaweiten Protestaktionen wären ohne das Netz nicht möglich, sagt Beckedahl. Im Zentrum steht Netzpolitik.org, Beckedahls Weblog. Rund 20.000 Leser versorgt der hauptberufliche Web-Berater dort täglich mit Informationen. Mit dem Blog macht er Pressearbeit, koordiniert Kampagnen und bittet um praktische Unterstützung. Aktuelles Beispiel: Der Protest gegen das umstrittene „Telekom-Paket“, ein weit reichendes Gesetzesbündel aus Brüssel, das regeln soll, wie Telekommunikation in der EU künftig funktioniert:
“Hier arbeiten wir mit Partnern in Frankreich und in England zusammen. Und das funktioniert dann so, dass zum Beispiel einer gerade freie Ressourcen hat und ein Anschreiben an Politiker formuliert. Das ist dann meistens auf Französisch oder auf Englisch vorhanden. Ich rufe dann bei mir auf, okay, wer hat gerade Zeit, kann das Ganze übersetzen? Dann haben wir eine Übersetzung, andere gucken noch mal drüber, ob das eine gute Übersetzung ist, korrigieren das vielleicht im Wiki. Dann liefern wir gleichzeitig die Anleitungen, welche Abgeordneten in welchem Ausschuss jetzt angeschrieben werden sollen und sammeln aber wiederum auch wieder die Antworten, um darauf wieder reagieren zu können.”
Das Internet hat nicht nur die Wirtschaft effizienter gemacht, sondern auch politischen Protest. Die Schwelle zum gesellschaftlichen Engagement ist deutlich gesunken. Mitmachen ist leichter denn je. Ob als Student, Familienvater oder empörte Tagesmutter aus Greifswald:
“Der Deutsche Bundestag möge beschließen, das bedingungslose Grundeinkommen einzuführen.”
Diese schlichten Worte tippte die politisch wie technisch unerfahrene Susanne Wiest Ende letzten Jahres bei Bundestag.de ein. Petitionen, also Bürger-Eingaben ans Parlament, sind seit ein paar Monaten nämlich auch per Internet möglich. Die über gesellschaftliche Ungerechtigkeiten erboste Tagesmutter forderte 1500 Euro im Monat vom Staat für jeden Bürger, einfach so. Ihre Petition wäre wohl versandet wie tausende andere, wäre nicht ein Blogger über die Eingabe gestolpert. Der machte Wiests Vorstoß zu diesem in linken Kreisen lange diskutierten Thema publik. Twitter, Blogs und Youtube – die Petition war auf allen Kanälen des Webs, erreichte schließlich die traditionellen Medien – und in wenigen Wochen hatten über 50.000 Menschen die Petition unterschrieben. Jetzt wird sich der Bundestag womöglich mit der Frage befassen. Internet-Neuling Susanne Wiest stellt heute erstaunt fest:
“Das ist eine Bürgerbewegung, die sich im Internet trifft. Und ich kann ja jetzt sehen: Ich habe wirklich nur ein bisschen was gemacht und – ohhhhhh – also, es ist möglich, was zu tun.”
Konferenzen, Vereinstreffen, Koordinationssitzungen – die hohen Kosten der Zusammenarbeit bremste lange nicht nur die Wirtschaft, auch den gesellschaftlichen Protest. Das Internet hat die Kosten der Zusammenarbeit drastisch reduziert und völlig neue Formen des gemeinsamen Schaffens hervorgebracht. Jeder steuert bei, was er kann, wann er will und wo er will.
“Wir haben letztes Jahr im Dezember eine Aktion gehabt, wo wir unsere Nutzer aufgerufen haben, Slogans zu finden gegen Atomenergie.”
Felix Kolb vom Protestnetzwerk campact.de:
“Die konnten die dann in ein Forum einstellen und gleichzeitig auch die Beiträge anderer bewerten – von gut, sehr gut bis schlecht. Und dann haben wir so die besten zehn Slogans ausgewählt und auf Großplakaten rund um das deutsche Atomforum plakatiert.”
Das Online-Netzwerk Campact.de hat weit über 100.000 Mitglieder, sie haben freiwillig ihre Mailadresse hinterlassen, um politischen wirken zu können. 100.000 Mitglieder – dafür mussten Umweltverbände in den 80er Jahren sehr viele Bioläden besuchen. Auch Campact will Menschen das Protestieren leicht machen: Ein paar Mausklicks zwischen Cafe Latte und Kindergarten, schon ist etwas auf den Weg gebracht. Daher dürfen die Themen nicht zu komplex sein: Campact – kurz für Kampagne und Aktion – kämpft gegen Milchdumping, militärische Übungsplätze oder Genmais. In einer erste Proteststufe können Campact-Mitglieder Protest-Mails an Politiker verschicken, sagt Felix Kolb von Campact:
“Die elaborierteste und wirkungsvollste Online-Aktion, die wir anbieten, nennt sich Wahlkreisaktion. Das heißt, ein Benutzer geht auf die Webseite, trägt seine Adresse, seine Postleitzahl ein und bekommt dann automatisch die Bundestagsabgeordneten zur Auswahl angeboten, die für seinen Wahlkreis im Bundestag sitzen. Das heißt, dass dann beim einzelnen Bundestagsabgeordneten zwar nicht tausende Emails eingehen, aber viele Hundert nur von Bürgerinnen und Bürgern, die aus seinem Wahlkreis kommen. Unserer Erfahrung nach werden diese Emails besonders ernst genommen, weil der Politiker weiß: Das sind Leute, die mich wählen, gewählt haben oder wählen könnten.”
Solche Aktionen lassen sich dank Internet quasi über Nacht zu organisieren. Gesellschaftlicher Protest kann so mit dem Tempo des politischen Tagesgeschehens Schritt halten. Neue Internet-Werkzeuge helfen den Aktivisten auch, den Erfolg ihres Wirkens zu dokumentieren. Markus Beckedahl überträgt wichtige Ausschuss-Sitzungen des EU-Parlaments live und in Farbe – ohne Internet kostet das Zehntausende Euro, im Netz gibt es das umsonst.
“Mein Name ist Markus Beckedahl, wir berichten hier mehr oder weniger Live aus dem Europaparlament. Hier gibt es jetzt eine Woche lang Grasswurzel-Lobbying rund um das Telekom-Paket.”
Auch Campact veröffentlicht Videos seiner Demonstrationen bei auf Videoportalen a la Youtube und Blip.tv. Solche Rechenschaftsberichte motivieren und bringen bares Geld, sagt Felix Kolb von Campact:
“Menschen können auch sehen, was ihre Aktionen bewirken. Und durch diese enge Rückkopplung haben wir auch immer wieder Menschen, die erneut bei Aktionen mitmachen und die dann auch bereit sind zu spenden für andere Sachen, beispielsweise für Meinungsumfragen, die wir präsentieren zu Themen oder für Studien, die wir erstellen. Das heißt, wir nutzen das Internet jetzt viel weitreichender als nur Email-Aktionen zu organisieren. Die ganze Organisation ist darauf ausgerichtet, direkt und schnell zu kommunizieren und dabei kostengünstig zu bleiben.”
Protestieren leicht gemacht – der Vorteil des Internets ist jedoch gleichzeitig sein größter Nachteil. Weil es leichter ist, 50.000 Mails zu verschicken, als 50.000 Menschen auf die Straße zu bringen, ist die politische Durchschlagskraft von Online-Protesten begrenzt. Im Netz wird Protest vorbereitet, koordiniert, angezettelt. Um politisch zu wirken, müssen Menschen immer noch ein Opfer bringen – also auf die Straße gehen, einen Brief mit der Hand schreiben.
“Also irgendwo hin zu klicken, irgendwo mal seine Email-Adresse einzutragen – das bringt nicht viel. Das Netz ist nur die Ebene, um Menschen zusammen zu bringen, um Meinungen auszutauschen, um Handlungsanleitungen auszutauschen und sich zu verabreden.”
Die Grenzen des Omline-Protets kennt auch Padeluun, ein Bielefelder Datenschützer, der mit dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung Front macht gegen die gesetzliche Speicherung der Verbindungsdaten:
“Der eigentliche Protest muss immer außerhalb des Netzes stattfinden, nämlich auf der Straße an Infoständen, in Gesprächen, durch Drucken von Flyern, durch Angehen von Presse, auch vor allem von Presse, die gedruckt wird und die nicht nur wieder im Netz ist.”
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Hallo Philip, wichtiger und guter Beitrag! Danke. Bin oft selbst versucht, das Netz für Protest zu nutzen und sehe nun meine Zweifel bestätigt. Protest muss weiter ein Gesicht haben.
Gruß von Arndt Müller / BUND M-V