Hallo Bagdad, hier Berlin – Telephone FM geht auf Sendung

Zwei Sorten Radio gibt es in Bagdad: Entweder es kommt aus dem Ausland von der BBC oder der Deutschen Welle, oder aus dem Irak, dann ist es aber immer politisch oder religiös motiviert. Beide Hörfunkvarianten sprechen die jungen Menschen Im Irak nicht an. Das meint Klaas Glenewinkel, ein junger Radiomann aus Berlin.

Gleenewinkel
Klaas Glenewinkel, 33

Zielgruppe verfehlt befand er, nachdem er bei einem Besuch im Irak die Radioszene in der Hauptstadt getestet hat. Zurück in Deutschland setzte er ein Projekt auf die Schiene, das am 10. Juli auf Sendung geht: “Telephone FM” will Radio für junge Menschen in Bagdad machen. Mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes.

Funkfenster

Deutschlandfunk, Markt und Medien, 22. Mai 2004

Nur 2 Prozent fallen durch deutsche Hochschulabschlussprüfungen

Über zehn Jahre hatte Alaa S. am Institut für Luft- und Raumfahrt der Technischen Universität Berlin studiert. Doch der 31jährige sitzt heute nicht auf einer Führungsetage, sondern in Untersuchungshaft. Denn seinem Professor, so die Staatsanwaltschaft, soll er mit einem palästinensischen Terrorkommando gedroht haben. Als ein Wachmann ihn aus dem Institut werfen wollte, habe Alaa S. ihn mit einem Messer attackiert. Der Grund für Alaas Zorn: Der Student hatte für seine Diplomarbeit im Fach Luftfahrzeugbau eine Fünf bekommen. Alaa S. war durchgefallen, sein Studium beendet. Damit konnte Alaa S. nicht rechnen. Denn wer in Deutschland zu einer Hochschulprüfung antritt, fällt in der Regel nicht durch.

Deutschlandfunk, DLF-Magazin, 24. Juni 2004

AUTOR
Gerhard Hüttig ist Professor Institut für Luft- und Raumfahrt der TU Berlin. Der Hochschullehrer hat Hunderte Diplomprüfungen abgenommen. Aber durchgefallen ist bei ihm fast keiner.

OTON
In meiner Laufbahn als Hochschullehrer – ich bin jetzt 12 Jahre hier an der TU Berlin – kann ich mich wirklich nur an einen Fall erinnern, wo ich den schwarzen Peter hatte und sagen musste: Wegen mir kann er das Studium nicht beenden.

AUTOR
Hochschullehrer in der ganzen Republik könnten ähnliches Berichten. Denn wer an einer deutschen Hochschule zu einer Abschlussprüfung antritt, fällt in der Regel nicht durch. In Zahlen des Bundesamtes für Statistik heißt das: Im Jahr 2002 haben von Hundert Prüflingen rund 98 bestanden. In den vergangenen zehn Jahren war das nicht viel anders, stets lag die Durchfallquote bei 1-2 Prozent. In rund der Hälfte aller Fächer, die an deutschen Hochschulen angeboten werden, ist 2002 kein einziger Prüfling durchgefallen. Darunter sind viele geisteswissenschaftliche und künstlerische Fachrichtungen wie Gesang, Spanisch, Islamwissenschaft oder Dokumentationswissenschaft. Aber auch Naturwissenschaften wie Geophysik, Luft- und Raumfahrttechnik und Tiermedizin. Die höchste Durchfallquote weist der Studiengang Stahlbau auf: 13 von 100 Prüflingen bestanden im Jahr 2002 ihr Examen auch nach mehreren Anläufen nicht. Tino Bargel von der AG Hochschulforschung der Universität Konstanz sagt, die Abschlussprüfung an Hochschulen sei zu einer Formsache geworden:

OTON
In gewisser Weise ja – wie die Abiturprüfung ja auch: Die Abiturprüfung ist so angelegt, dass eigentlich keiner durchfallen sollte. Deswegen soll alles getan werden, dass er die Abschlussprüfung besteht – bis hin in ganz einzelnen Fällen, wo der Kandidat sauschlecht ist und trotzdem mit einem Befriedigend durch die Prüfung gelassen wird, weil gesagt wird: In Gottes Namen, er geht ja jetzt weg.

AUTOR
Kann also jeder Dummkopf sein Diplom in Geophysik machen? Bauen unfähige Luftfahrtingenieure unsere Flugzeuge? Sicher nicht. Was aber sind Diplom, Magister und Fachhochschul-Zeugnis noch wert, wenn quasi jeder besteht, der sich zur Prüfung anmeldet? Darauf gibt es viele Antworten. Die wichtigste Erklärung von Bildungsforschern, Hochschullehrern und Bildungspolitikern lautet: Wenn Studenten sich zur Abschlussprüfung melden, haben sie bereits bewiesen, dass sie akademischer Weihen würdig sind. Wer durchfallen könnte, wird schon vor der Abschlussprüfung im Verlauf des Studiums aussortiert, sagt Prof. Gert Wagner, Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Mitglied des Wissenschaftsrates, der die Bundesregierung in Bildungsfragen berät:

OTON
Sehr viel Studenten fangen mit einem Studium an, vom dem schnell klar ist, dass sie dafür nicht geeignet sind. Die werden entweder in den Vordiplomprüfungen heraus geprüft oder in den Geisteswissenschaften hören sie irgendwann auf zu studieren, gehören also zu den so genannten Abbrechern. Aber die, die mit einem Studium nicht zurecht kommen, kommen in der Regel nicht soweit, ins Diplom reinzugehen.

AUTOR
In der Tat: Nach Berechnungen des Hochschulinformationssystems HIS bricht knapp ein Drittel der Studenten das Studium ab. Richtig gesiebt – nach rationalen und fachlichen Kriterien – wird allerdings meist nur in den Naturwissenschaften. Nur hier sind Zwischenprüfung und Vordiplom echte Hürden. Yussif Abdel Gadir studiert seit 20 Semestern Luft- und Raumfahrttechnik und sitzt gerade an seiner Diplomarbeit:

OTON
Es ist so, dass das Grundstudium bei uns extrem hart ist und die ganz große Siebfunktion dort auch schon angesetzt wird, da sind es über 50 Prozent der Studenten, die dort ausscheiden, die merken, das ist nichts für mich, das ist zuviel Mathematik, zuviel Physik, zuviel Mechanik. Die Belohnung kommt dann im Hauptstudium und deshalb ist das Hauptstudium auch wesentlich motivierender. Da beschäftigt man sich viel intensiver mit dem Thema und dann klappt´s meistens auch mit dem Prüfer.

AUTOR
Anders sieht es bei vielen geisteswissenschaftlichen Fächern aus. In Geschichte, Germanistik oder Volkskunde ist die Zwischenprüfung oft eine Lappalie. Ins Hauptstudium kommt häufig jeder, der beim Prüfungsamt die richtigen Scheine vorlegen kann. Eine fachliche Vorauswahl findet kaum statt. In diesen Fächern geben aber viele Studenten von sich aus auf: Die Abbrecherquote in geisteswissenschaftlichen Fächern weit über dem Durchschnitt. Von zehn Studenten, die anfangen, Geschichte zu studieren, machen nur zwei auch ihren Magister oder ein Staatsexamen. Grund dafür ist aber nicht unbedingt ein Mangel an Begabung: Oftmals fehlt einfach das Geld – oder der tägliche Kampf im Uni-Dschungel erstickt jegliche Motivation. Wer es fünf Jahre in überfüllten Hörsälen aushält, Seminare, Hausarbeiten, Praktika und Vorlesungen koordiniert, der beweist nicht unbedingt Fachwissen, sondern vor allem Organisationstalent, starken Willen und Leidensfähigkeit. Hochschulforscher weisen darauf hin, dass es nicht das Ziel einer Hochschule sein kann, viele Studenten durchfallen zu lassen. Eine solche Verschwendung von Ressourcen leistet sich kaum ein Land der Welt, sagt Professor Gert Wagner vom Wissenschaftsrat:

OTON
An den besten Unis, den so genannten Elite-Universitäten in den USA und Großbritannien, fällt überhaupt niemand durch, einfach deshalb, weil dort vorher sehr gut geprüft wird, ob jemand für ein Studium geeignet ist. Das ist in Deutschland bei weitem nicht der Fall.

AUTOR
Und so bleibt die Frage, ob es wirklich nur die besten Studenten bis zur Abschlussprüfung schaffen und sie auch bestehen. Maria Böhmer, Professorin für Pädagogik in Heidelberg, hat jahrelang Staatsexamen für das Lehramt abgenommen. Auch sie kann sich nur an einen Studenten erinnern, den sie durch die Abschlussprüfung hat fallen lassen. Heute ist Böhmer für die CDU/CSU-Fraktion stellvertretendes Mitglied des Bildungsausschusses im Bundestag. Sie weist darauf, dass nicht nur fast alle Prüflinge ihre Abschlussprüfungen bestehen, sondern nach einer Untersuchung des Wissenschaftsrates in vielen Fächern auch nur Einsen und Zweien bekommen. Inwieweit sind Abschlussprüfungen da wirklich noch Leistungsnachweise?

OTON
Das ist natürlich besonders auffällig, wenn sie im geisteswissenschaftlichen Bereich bestimmte Studiengebiete sehen und dann feststellen, dass der überwiegende Teil der Studenten die Uni mit de Note sehr gut verlässt. Es wäre höchsterfreulich, wenn die Leistungen dann auch sehr gut entsprechen würden. Aber da wir wissen, dass wir er es mit der gaußschen Normalverteilungskurve zu tun haben, ist hier wohl Skepsis angebracht.

AUTOR
Doch Rettung kommt aus Brüssel. Denn im Rahmen des so genannten Bologna-Prozesses sollen alle Studiengänge EU-weit vereinheitlicht werden. In Europa wird es in Zukunft nur noch international anerkannte Bachalor- und Masterabschlüsse geben. Zentrales Element dieser Studiengänge sind regelmäßige Prüfungen während des ganzen Studiums. Und wenn Studenten mehrmals im Semester Leistung nachweisen müssen, so der Plan, kommen wirklich nur jene bis zum Abschluss, die sich akademischer Weihen als würdig erwiesen haben.

Versöhnungskommission für den Irak

Ein Gespräch mit dem irakischen Kulturminister Mufid Mohammed Jawad al-Jaza’iri.

Berliner Zeitung, 21. Mai 2004

Viele Iraker kehren aus dem Exil zurück und stoßen auf alte Kader. Sie waren während der letzten zehn Jahre des Saddam-Regimes Chefredakteur der kommunistischen Parteizeitung im irakischen Kurdistan. Nach ihrem Amtsantritt als Kulturminister haben Sie Mitglieder der Baath-Partei mit einem bestimmten Rang aus ihrem Ministerium entlassen. Wie können alte und neue Eliten zusammenarbeiten?

Mufid Mohammed Jawad al-Jaza’iri: Wir sprechen viel über Versöhnung. Aber wir müssen klären, mit wem wir uns versöhnen wollen. Sicher nicht mit den Leuten des alten Regimes. Diejenigen, die für Verbrechen verantwortlich waren, die aktiv und wichtig waren im diktatorischen Regime, diejenigen, die das kulturelle Leben nach den Vorgaben es Diktators deformiert haben, mit ihnen ist ein Neuanfang unmöglich. Diese Menschen können keine führenden Positionen mehr einnehmen. Wir wollen Freiheit, eine freie Kultur, eine freie Atmosphäre.

Braucht der Irak eine Versöhnungskommission?

Wir sind dabei, das zu organisieren. Wir versuchen, die Erfahrungen aus Südafrika, Mozambique und Malawi zu nutzen. Das ganze Volk braucht diesen Reinigungsprozess. Denn wir haben Hunderttausende Menschen, die Mitglieder der Baath-Partei waren. Viele wurden gezwungen, viele von denen haben nie etwas Böses getan. Für diese Menschen sollte die Tür offen stehen. Ich denke, dass dieser Prozess vor allem unter Intellektuellen beginnen sollte. Gute Erfahrungen hier würden den Prozess im ganzen Land beeinflussen.

Wann soll diese Kommission ihre Arbeit beginnen?

Bisher haben wir weder eine Kommission noch einen Namen für sie. Vor zwei Wochen hatte ich ein Treffen mit der Journalisten-Union in Bagdad und habe sie und frühere Mitglieder der Baath-Partei zum Dialog eingeladen und gesagt, dass wir anfangen sollten.

Sind die Menschen in Bagdad überhaupt an Kultur interessiert?

Die Leute sind sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Aber es ist zu sehen, dass diejenigen, die bereits etwas mehr verdienen, offen sind für Kultur, nach Büchern suchen und ins Kino gehen. Kultur ist aber nicht nur wichtig, um das Leben zu normalisieren. Wir müssen auch den Geist der Menschen wieder aktivieren, der vom Regime deformiert worden war. Es gibt einen tiefen Graben zwischen den Irakern und kulturellen Gütern. Das Regime des Saddam Hussein hat die Menschen von der Kultur entfremdet. Es hieß, gebildete Leute sind gefährlich. Es war besser, die Menschen von Kultur fern zu halten, um sie besser manipulieren und benutzen zu können. Bei Büchern und Publikationen zum Beispiel brauchen wir eine wahre Revolution. Wir brauchen große Publikationen, um die Menschen wieder für kulturelle Güter zu begeistern, um das Buch zu rehabilitieren und eine neue Freundschaft aufzubauen zwischen Mensch und Buch.

Wie viele Menschen arbeiten in ihrem Ministerium?

Etwas mehr als 3 000.

Das ist viel.

Ich bin glücklich, wenn die Hälfte von ihnen arbeitet. Viele kommen nur zwei Tage die Woche. Zum einen sind viele Gebäude zerstört, zum anderen fehlt das Geld, um sie zu bezahlen.

Wie hoch ist das Budget des Ministeriums?

Um das Ministerium zu führen und kulturelle Aktivitäten zu finanzieren haben wir nicht mehr als zwei Millionen Dollar pro Jahr.

Reicht das?

Natürlich nicht.

Das International Council on Monuments and Sites sagt, nicht der Zustand der Museen im Irak sei das Problem. Die eigentliche Kulturkatastrophe spiele sich in den archäologischen Stätten des Irak ab. Plünderer ruinieren die mehr als 3 000 Jahre alten Fundstätten mit Bulldozern. Wie können Sie diese Stätten schützen?

Diese Stätten sind ohne Schutz und die Räuber geben ihr bestes. Aber wir trainieren jetzt Einheiten, um die Stätten zu schützen. Wir brauchen noch zwei, maximal drei Monate, dann sollten die Einheiten einsatzbereit sein.

Wie viele Mitglieder werden diese Einheiten haben?

Zwischen 1000 und 1500. Alles Iraker. Sie werden in der Nähe der Stätten postiert und enge Kontakte zur Polizei haben, denn 1500 Aufpasser sind zu wenig. italienische Carabinieri werden uns helfen, die haben viel Erfahrung mit so etwas.

Wie viel verdienen die Aufpasser im Monat?

60 bis 70 Dollar im Monat.

Die Plünderer haben nicht mal ihre Arbeit unterbrochen, als Unesco-Vertreter sie beobachteten. Außerdem verdienen sie viel Geld und können ihre Aufpasser leicht bestechen.

Ja, das ist richtig. Aber wir können nicht mehr machen, also solche Einheiten zu gründen. Und mehr zahlen können wir nicht.

Mau Mau Zittau

So, das war kein wirkliches Weblog, tut mir leid, war etwas zu viel zu tun. Aber jetzt ist die Arbeit getan, die Festwiese am Dreiländereck gehört wieder den Vögeln. Nur unser Ü-Wagen steht noch.

Haben bis heute morgen um vier an der Reportage geschnitten, die heute um 13.05 lief. Ist ganz gut geworden, wie ich finde.

Die anderen schneiden noch ein paar Sachen für morgenfrüh – Zeit, um ein paar Fotos hochzuladen.

Aber Aufreger gibt es immer wieder. Die Zeit für die Produktion war knapp, aber alles lief prima. Erst als der Rechner den halbstündigen Beitrag berechnen sollte, ging nichts mehr. Da wurde es stressig, eine Stunde vor der Sendung. Und woran liegt´s? Weil die Behörde es schafft, für 2,5 Millionen Euro einen Ü-Wagen zu bauen und dem PC, dem Herzstück der ganzen Anlage, magere 128 MB Arbeitsspeicher zu spendieren. Jeder Aldi-PC hat heute das mindestens doppelt soviel. Das sind so die Sachen, die ich nie verstehen werde. Nie.

Die EU-Fete am Dreiländerck ist nicht gut besucht gewesen. Die Leute scheinen sehr verunsichert zu,was da so aus dem Osten auf sie zukommt. Aber selbst der FALK-Plan von Zittau und Umgebung endet an der polnischen und tschechischen Grenze. Rechts davon nur weiße Fläche. Wir haben uns dennoch mal rübergewagt und sind 30 Kilometer nach Liberec/Reichenberg in Tschechien gefahren. Keine Probleme.

Sehr nett gegessen, sechs Leute, 25 Euro. Der Marktplatz mit Rathaus:

Die nächste Tour geht durch die neuen Staaten, von Tallinn nach Bratislava. Bis denn.

Zittau erwacht nur langsam

Tag zwei in Zittau. Im sonnigen Garten des Dresdner Hofes. “Soll ich Ihnen einen Tisch bringen?” fragt die Wirtin. Ja bitte. Schatten spendet zur Not die Trauerweide. Zeitungslektüre …

Drei Tage vor dem Ende der Ordnung von Jalta ist in der Sächsische Zeitung davon nichts zu lesen. 100 Helfer seien am Samstag bei der “EU-Party” im Einsatz, um die vielen Autos einzuweisen. “Wenn alles voll ist, riegeln wir ab”, sagt Jana, 18. Nachher Treffen mit dem Leiter des Zollübergangs Chopinstraße. Mal sehen, ob von dem etwas mehr zu erfahren ist. Später mehr. Andreas beschwert sich, dass man sich für Kommentare anmelden muss. Sieht das noch jemand so?

Hier seine ergänzenden Informationen:
“ich war ja am vergangenen donnerstag auf dieser demografie-pk. dort sagte einer der forscher, das einzig gute an den aussterbenden landkreisen sei, dass die natur wieder eine chance habe. so haben sich in der lausitz wieder zwei rudel wölfe, eingewandert aus polen, angesiedelt. mit stabilen populationen – im gegensatz zu den humanoiden der gegend.”

Autsch. Schon wieder Letzter – Ankunft in Zittau

Wir sind in Zittau angekommen und sollen bis zum Sonntag für das DeutschlandRadio über die Feierlichekeiten anlässlich der Osterweiterung berichten…

Weiträumige Absperrungen, Bühnen und Schausteller, die eine Kirmes aufbauen. Am Wochenende treten zehn neue Länder der EU bei und gefeiert wird von Staats wegen in Zittau, im Dreiländereck mit Polen und Tschechen. Musikanten werden spielen, Politiker reden, Böller explodieren und Zöllner ihren Job verlieren. Nur die polnischen natürlich, die deutschen werden versetzt in andere Behörden. Man hätte die Leute besser über die Osterweiterung informieren müssen, sagt der sächsische Landtagsabgeordnete und frühere Innenminister des Landes, Heinz Eggert. Ein Kinospot für 2,5 Millionen Euro, gedreht “in München mit Westpromis” erreiche hier niemanden. Ja, sagt der Interviewer der Sächsischen Zeitung, Flugblätter hätte man verteilen sollen, an jeden Haushalt, mit Antworten auf die wichtigsten Fragen. Ja, oder die Sächsiche Zeitung hätte mal recherchieren können und einen Artikel veröffentlichen können mit Antworten auf die wichtigsten Fragen. Aber vielleicht haben sie das ja getan. Ich weiss es nicht. Jedenfalls scheint die Unsicherheit hier recht groß zu sein. Manche scheinen zu denken, dass die geplante Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe etwas mit der Osterweiterung zu tun hat. Ich krieg kein Geld mehr, der Pole ist schuld. Aber verlieren gehört hier zum Alltag. Das Berliner Institut für Demographie hat 440 Landkreisen und kreisfreie Städte auf ihre Zukunftsfähigkeit geprüft und Zittau/Löbau auf Platz 337 einordnet, nur in Gelsenkirchen, Bremerhafen und dem Altenburger Die Stadt schmückt sich für das große Fest, von der Sächsischen Zeitung schlicht “EU-Fete” genannt:Land sieht es düsterer aus. Die Sächsische Zeitung titelt: “Autsch! Schon wieder Letzter”. Nahe dem historischen Marktplatz steht die erste Kirmesbude: “Das Glücksrad”. Sie werden es brauchen das Glück. Jetzt gehe ich etwas essen, unser Einsatzleiter ist mit der polnischen Praktikantin, einer Journalistin aus Westpolen, von einer ersten Recherchereise zurückgekehrt. Mal sehen, was er so erlebt hat. Bis später. (Fotos gibt es vorerst nicht, weil ich im Hotel nur über Handy ins Netz komme. Aber vielleicht finde ich ja noch einen Hot Spot. In Zittau.)

Auf der Strecke (in: Dummy 02)

Heroin von Afghanistan nach Europa wird durch Aserbaidschan geschmuggelt. Immer häufiger bleibt es dort. In der Staaten der Ex-Sowjetunion hängt mittlerweile die halbe Jugend an der Nadel.

In: Dummy, 02/2004

Der Pegel des Kaspischen Meeres steigt und der Vergnügungspark steckt im Sumpf. Nur das rostige Skelett des Riesenrades ragt noch in den Himmel über dem Grenzkontrollpunkt Astara. Die A 322 von Teheran nach Baku ist hier eine Schlammpiste. In den Pfützen versinken die Sattelschlepper bis zur Achse und schaukeln wie Fischerkähne in seichter Dünung. Die Laster bringen Windeln nach Baku, Tomaten nach Istanbul und Heroin nach Europa. Die A 322, wichtigste Verbindung zwischen dem Iran und der Ölrepublik Aserbaidschan, ist eine Seitenstraße der “Balkanroute”, auf der laut Interpol etwa 80 Prozent des in Europa sichergestellten Heroins transportiert werden. Die holprige Trasse ist Teil eines feinmaschigen; jahrhundertealten Transportnetzes zwischen Kabul und Amsterdam. Noch in den 70er und 80er Jahren kam der größte Teil des gehandelten Heroins aus dem Goldenen Dreieck. Doch Myanmar und Laos haben ihre Anbaufläche unter internationalem Druck in den Neunzigern fast halbiert. Inzwischen wirkt die Region an der thailändischen Grenze wie ein narkologischer Laubenpieperverein verglichen mit jenem Land, in dem sich heute der Opiumanbau konzentriert. Wenn die deutsche Polizei Opium findet, wie die 275 Kilo am 19. Dezember 2003 in Kassel, stammt es meist aus Afghanistan. Zwei Drittel aller Opiate, rund 3600 Tonnen, kamen 2002 laut UN Opium Survey aus dem Land am Hindukusch. Infolge der restriktiven Drogenpolitik der Taliban war die Anbaufläche für Schlafmohn 2001 von 82 000 auf acht Hektar zurück gegangen. Doch seit die Amerikaner die Islam-Krieger aufgerieben haben, verzehnfachte sich die Anbaufläche und hat heute fast die Rekordwerte von 1999 wieder erreicht. Schlafmohnanbau und Drogenschmuggel machten nach Schätzungen der UNO 2003 rund die Hälfte des legalen afghanischen Bruttosozialprodukts aus. Doch trotz wachsender Nachfrage verdienen die Opiumbauern immer weniger. 2002 kostete ein Kilo Opium beim Produzenten im Schnitt noch rund 350 Dollar. Im vergangegen Jahr fiel der Preis auf 283 Dollar, ein Minus von 19 Prozent. Der Grund: Immer mehr Afghanen steigen ins Schlafmohngeschäft ein, das drückt den Preis. Aus dem afghanischen Dorf zum westeuropäischen Verbraucher gelangt der Stoff im wesentlichen auf zwei Wegen. Die “Seidenroute”, der schon Marco Polo sein Einkommen verdankte, gewinnt seit dem Ende der Sowjetunion und den Balkankriegen der 90er Jahre an Bedeutung. Meist beginnt sie in Grenzörtchen wie dem usbekischen Termiz, wo sich die eisernen Grenztore selbst für Privatreisende nur gegen Bakschisch öffnen. Auf einer weißen Metallbrücke überqueren die Opium-Laster dann den Amu Darya-Fluss und rumpeln über Kasachstan und Russland gen Europa. Am wichtigsten ist jedoch laut Bundeskriminalamt noch immer die “Balkanroute”. Sie führt über den Iran, durch den rund die Hälfte der afghanischen Drogen transportiert werden, nach Istanbul, einem Knotenpunkt des internationalen Drogenhandels. Von dort geht die Ware über Rumänien und Bulgarien oder den Balkan weiter nach Holland, von wo aus sie in Europa verteilt wird. Die Kurierwege von Teheran nach Istanbul sind heute so verzweigt wie die Seidenstraße vor 1000 Jahren. Die Spediteure wollen flexibel reagieren können, wenn es Ärger gibt oder neue Kunden. Also biegen Reisebusse und Sattelschlepper mit viel Pulver im Tank des öfteren im Iran rechts ab und folgen der A322 aus Teheran kommend nach Norden, Richtung Aserbaidschan. Grenzübergang Astara. Wer von Teheran nach Baku will, geht entweder zu Fuß durch die Berge oder passiert diesen Posten direkt am Strand des Kaspischen Meeres. Mühsam kämpfen sich die Laster durch den Matsch. In Astara wird die A 322 schon deshalb nicht asphaltiert, weil die Grenzer zu viel Geld verlören, wenn die Straße gesperrt würde. 200 bis 300 LKW-Fahrer entrichten täglich ihren Obulus. “Wir geben den Grenzern immer zwei, drei Dollar, weil wir sie schätzen”, sagt der Kurde Adnan Kaya, 34, der Kabel nach Baku bringt. Wer Drogen schmuggelt, muss nicht immer Geld bezahlen. Mitunter reicht es, internationale Handelsabkommen zu studieren. Eines davon wurde 1951 von 45 Staaten abgeschlossen, um Zollkontrollen an jeder Grenze zu vermeiden und ist bekannt als “Transport International de marchandises par la Route”, kurz TIR. Interpol geht davon aus, dass Heroin und Opium in der Regel in TIR-Containern geschmuggelt werden. Denn diese Transitcontainer dürfen aserbaidschanische Zöllner ? so will es das Handelsabkommen ? nur öffnen, wenn sie den gesicherten Verdacht haben, dass in den 300 Säcken nicht alles Mehl ist, was staubt. Doch Röntgentechnik fehlt nicht nur in Astara und Hunde sind mit ein bisschen Pfeffer zu täuschen. Der Oberstleutnant der Anti-Drogenabteilung im Innenministerium sagt: “Was wir finden, ist Kleinkram.” So ähnlich geht es auch dem Mann mit dem buschigen Schnurrbart, der nahe der Ortschaft Yardimly aus seinem Niva-Jeep steigt, die Uniform gerade zieht und tief Luft holt. Sie ist auf 1100 Metern frisch wie am ersten Tag und die grünen Hügel liegen blass im Milchdunst der Mittagssonne. Seit neun Jahren jagt der Polizist in den kargen Talish-Bergen westlich von Astara Schmuggler, die sich in iranischen Dörfern mit Heroin eindecken und es nachts im Rucksack nach Aserbaidschan bringen. “Wir glauben, dass sie es tonnenweise rüber bringen”, sagt der Polizist, doch genau weiß das niemand. Fünf Kilo Heroin hat er mal gefunden, aber das ist lange her. 35 000 Dollar kostet hier ein Kilo bestes Heroin aus Afghanistan. In Russland bringt es das Doppelte. Wenn so ein Deal gelingt, darf sich ein aserbaidschanischer Dorfschullehrer mit seinem Monatslohn von 20 Euro fühlen wie ein Hamburger Referendar, der im Lotto sechs Millionen gewinnt. Der Polizist zeigt ins Tal. Der Grenzzaun ist auf dem staubigen Acker kaum zu erkennen: Stacheldraht, etwa 1 Meter 60 hoch und rund 700 nicht zu überwachende Kilometer lang. Dahinter liegt der Iran. Der Zaun war zu Sowjetzeiten ein alarmgesichertes sistema, ein Grenzsystem, an das sich niemand näher als 100 Meter heran traute. Doch als die Bergbauern beider Staaten sich 1992 verbrüderten, wurden Sperranlagen zu Weidezäunen und die Grenze löchrig wie ein alter Teppich. “An dieser Stelle gehen viele Schmuggler rüber”, sagt der Polizist, obwohl auf einer Anhöhe der Wachtrum des Postens 15 der aserbaidschanischen Grenztruppen in den wolkenlosen Himmel ragt. “Die Grenzer sind alle bestechlich”, sagt er, als hätte man nach der Uhrzeit gefragt. “Für hundert Dollar wurden hier mal 600 Rinder aus Dagestan in den Iran getrieben.” Doch auch wer zahlt, schmuggelt gefährlich. Regelmäßig werden Kuriere von Grenzern erschossen. “Es kann sein”, erklärt der Polizist, “dass sie den einen Soldaten bestechen, aber ein anderer Dienst hat, dass zufällig ein Vorgesetzter im Raum ist oder sie einfach was für die Statistik tun müssen.” Das Heroin ist längst nicht mehr nur für Europa bestimmt. Das UN-Drogenbüro UNODC schätzt die Zahl der Heroin- und Opiumkonsumenten 2001 weltweit auf 15 Millionen, zehn Millionen von ihnen nehmen Heroin. Doch die wenigsten von ihnen wohnen in Westeuropa. In der alten EU ist “H” ein Auslaufmodell ? im Gegensatz zu Kokain, Haschisch und Amphetaminen. Das Bundeskriminalamt (BKA) attestiert Heroin in Deutschland eine “rapide sinkende Attraktivität”. Der Anteil der so genannten Erstauffälligen, die Heroin nahmen, sank 2001 um 19 Prozent. 1994 hatten Ermittler 1590,5 Kilo Heroin beschlagnahmt. 2002 waren es noch 519,6 Kilo. Auch in Ostasien und Ozeanien geht der Heroinkonsum seit Jahren zurück. Die jährliche Opiumproduktion ist dennoch konstant. Weltweit liegt sie bei rund 4500 Tonnen jährlich, woraus sich etwa 400 Tonnen Heroin gewinnen lassen. 2001 wurden weltweit 53,9 Tonnen Heroin sichergestellt, davon 17,5 Tonnen in der EU. Da stellt sich auch unter Berücksichtigung hoher Dunkelziffern die Frage: Wer spritzt den Rest? Eine Antwort geben die Jugendlichen entlang der Schmuggelrouten. In Osteuropa, Russland und Zentralasien ist Heroin gefragt wie einst amerikanisches Kaugummi. Die Jugend dieser Schwellenländer durchlebt einen Rausch, wie ihn westeuropäische Generationen kaum kennen. Gut die Hälfte der afganischen Opiate wird laut Interpol durch Iran geschleust, das wichtigste Transitland auf dem Weg nach Westen. Obwohl Drogenhändlern und Konsumenten dort die Todesstrafe droht, sagt ein Sprecher des BKA, werde im Schiitenstaat”von Jahr zu Jahr mehr Heroin konsumiert”. Wenn die Lastwagen aus Iran bei Astara die Grenze überqueren, passieren sie einen Landstrich, den seine Bewohner “Kolumbien” nennen. Am subtropischen Wald der Talish-Berge liegt das jedoch nicht. “In dieser Gegend gibt es Dörfer, die riechen nach Heroin”, sagt Esmira Turide, die in dem 40 000-Einwohner-Ort Lenkoran die Anti-Drogen-Organisation SRCHO leitet. Hier, im Süden der islamischen Republik Aserbaidschan, in den verarmten Dörfern links und rechts des Drogenhighways, nähmen zwei von drei Jugendlichen Heroin oder Opium, sagt die Bürgerrechtlerin und man sieht ihr an, dass sie den Kampf verloren gibt. Esmira Turide hat nur eine Handvoll Mitstreiter und auf Unterstützung vom Staat wartet sie bisher vergebens. Deshalb sitzt Mesahir Efendiev im Zimmer 1013 des Innenministeriums. Aus seinem Büro im zehnten Stock des stalinistischen Prunkbaus blickt der nationale Koordinator des Southern Caucasus Anti-Drug Programme (SCAD) auf die Bucht von Baku. Die Molen im Hafen glänzen schwarz vom Rohöl. Am Horizont sind grau im Dunst die Bohrinseln zu erkennen. Von hier aus soll der xxjährige mit Millionen von UN und EU den Kampf gegen Sucht und Handel vorantreiben. Größtes Problem bisher: ?Es gibt kein Konzept für den Kampf gegen Drogen.” Das Drogenproblem sei so alt wie das postsowjetische Aserbaidschan, sagt Efendiev. Daher wußten Behörden so wenig über Heroin und AIDS wie die Junkies, nämlich nichts: ?Bis heute ahnen viele Süchtige nicht einmal, dass Heroin sie umbringen kann.” Efendiev hat 2000 Junkies in Baku und Lenkoran befragen lassen. Er schätzt, dass in dem 8-Millionen-Staat gut 200.000 Menschen Drogen nehmen. Während in Baku – wie auch in Deutschland ? mehr Marihuana als Heroin geraucht wird, sei das Pulver in Lenkoran die populärste Droge: ?Und das Interesse wächst.” Männer flüchten in den Rausch, weil Heroin weit leichter zu bekommen ist als Arbeit und verspricht, was der Koran nicht bieten kann: das Paradies im Hier und Jetzt. Die Teeplantagen sind vertrocknet, die Fabriken verwaist. “Warum soll ich einen Entzug machen?”, fragt Gosan Gussejnow, ein 53jähriger Familenvater, der Heroin spritzt, seit er vor drei Jahren seinen Job als Architekt verlor: “Arbeit finde ich trotzdem nicht.” Wenn Eltern nach alter Tradition einen Mann für ihre Töchter suchen, berichtet der Journalist Zahir Amanov, fragen sie nicht mehr, ob der Bräutigam ein Auto hat, eine Wohnung oder ein Vermögen. “Sie wollen wissen, ob er kein Junkie ist.” Bei Frauen beginnt die Sucht erst nach der Hochzeit. Zu Hunderttausenden verdienen Väter ihr Geld in Rußland, Tausende Ehemänner sind im Krieg mit Armenien umgekommen. Das ist für die Kinder so stressig wie für ihre Mütter: Männer gönnen sich im Schnitt mit 15 den ersten Trip. Frauen mit 25. Ähnliches gilt für die Transitländer Osteuropas. Zwischen 1995 und 1999 hat sich der Anteil der 16-Jährigen unter Heroinkonsumenten in der EU und Norwegen halbiert, im selben Zeitraum in den neuen EU-Mitgliedsländern verachtfacht. Fast jeder Fünfte im Alter von 16 Jahren nimmt dort Heroin. Die meisten beginnen mit 25. Und weil sich die Junkies in der Ex-Sowjetunion das Heroin vorzugsweise intravenös spritzen, breiten sich AIDS und Hepatitis in Kirgisien, Kasachstan, Usbekistan und Russland so schnell aus wie der Stoff im Körper ihrer Bewohner. Eine halbe Millionen Menschen sind laut UN Opium Survey in den Ländern entlang der Transitrouten am Drogenhandel beteiligt. Jedes Jahr setzen sie 30 Milliarden Dollar um. Als Märkte sind diese Staaten wegen der schwachen Wirtschaft nicht lukrativ wie die EU ? ein Schuss ist in Aserbaidschan leicht für fünf Euro zu bekommen. Doch die Dealer verdienen gut, weil sie mehr verkaufen: Schon jetzt leben in den neuen Märkten mehr Junkies als in Europa, schreibt UNODC in ihrem Drogenbericht 2003: “Und das Potential für weiteres Wachstum ist riesig.” Eine Plattenbausiedlung am südöstlichen Stadtrand von Moskau, vier Trolleybushaltestellen entfernt von der Metro-Station Kusminki, einem stadtbekannten Drogenmarkt. Von den neunstöckigen Bauten blättert die hellblaue Farbe. Kinder toben im Staub, zwischen Büschen stehen verbogene Klettergerüste. Ira, 25, sitzt in der Küche, zweiter Aufgang, erster Stock. Vor ein paar Minuten hat sie sich einen Schuss gesetzt, zwei weitere werden heute noch folgen. In der Küche brummt der Kühlschrank. Ira schaut aus dem Fenster. “Alle meine Freunde nehmen Drogen. 99 Prozent hier in der Gegend nehmen Drogen. Es gibt nichts zu tun, es gibt einfach keine Arbeit.” Leute, die nicht spritzen, interessierten sie nicht, sagt Ira. Wenn sie frühere Freunde auf der Straße treffe, heißt es nur: “Ah, hallo.” Das war´s. “Alle wissen, dass es schlecht ist, alle wissen, dass es ein Sumpf ist ? und alle versinken drin.” Drei oder vier von ihren ehemaligen Schulfreunden seien schon gestorben. Aber sie haue das nicht um: “Ist halt unser Schicksal.” Als Ira 1993 die Schule verließ, ging es in Russland drunter und drüber. Wo einst der einserne Vorhang für Ruhe sorgte, brachten offenen Grenzen und konvertierbare Währungen mit der Marktwirtschaft auch den Drogenhandel in Schwung. In einst staatlichen Pharmafabriken wurden Amphetamine produziert, der Rest kam aus Afghanistan. Die Dealer fanden eine Jugend, die alles nahm, was nach Westen roch. Marx stand im Lehrplan und man selber auf der Straße. Arbeitslosigkeit war so neu wie Heroin. Vielleicht hatten Iras Eltern in den 70ern mal mit hausgemachten Pharma-Drogen experimentiert, Baribiturate, Morphiumderivate oder Parkinsonmedikamente mit Alkohol verdünnt. Im Warschau der 80er war polnisches Heroin im Umlauf, das alle nur “Kompott” nannten. Selbst in Aserbaidschan, wo Opium seit jeher Zahnschmerz lindert und Großvaters Laune hebt, fuhren die Händler 1992 über die Dörfer und fragten, ob nicht jemand Geld geben wolle für dieses weiße Pulver, das ihnen ihre iranischen Handelspartner säckeweise in den Kofferraum gestellt hatten. Sowjetischer Rausch kam aus der Flasche, nicht aus der Spritze. Auch Ira wusste nichts über Drogen, was die Neugier nur steigerte: “Beim ersten Mal hatte ich noch Angst vor der Spritze.” Sie konnte danach nichts essen und trinken, erst wenn man abhängig sei, gehe das wieder. Ira verließ die Schule nach der neunten Klasse, eine Ausbildung hat sie bis heute nicht. Mit ihrer Mutter, der Oma und ihrer Schwester bewohnt sie eine Zwei-Zimmer-Wohnung. Etwa 40 Euro braucht Ira täglich für ihr Heroin, ziemlich genau die Monatsrente ihrer Oma. Wenn ihre Schwester schon ins Portemonnaie der Babuschka gegriffen hat, klaut Ira auf der Straße. Mohnstroh, LSD, Methadon, Heroin für 100 Dollar das Gramm ? Drogen zu besorgen ist in Moskau nirgends ein Problem. “Die Anzahl der Drogenabhängigen wächst unglaublich”, sagt Nikolai Brotzkij, Chefarzt am Moskauer Krankenhaus Nummer 17, der größten Entzugsanstalt des Landes. Russlands Rat für Außen- und Sicherheitspolitik befand schon 1999, das Ausmaß der Sucht im Land sei “derartig gewaltig”, dass es die Gesellschaft zu destabilisieren drohe. Und weiter: Der Drogenmissbrauch sei “eine Bedrohung der nationalen Sicherheit.” Eine erfolgversprechende Drogenpolitik entwickelte sich nicht. Drogensucht war ein Stigma, Junkies wurden weggesperrt und Therapie wurde zur Drohung. “Die Rückfallquote ist enorm”, sagt Drogenarzt Nikolai Brotzkij: “Fast alle kommen wieder.” Elschad Gurbanov in Lenkoran wäre froh über soviel Andrang. Doch einziger Junkie in der Entzugsklinik des Arztes ist ein Großdealer mit glänzenden Schuhen und 300er Mercedes. Mesahir Machmedov, 37, nach eigenen Angaben ein opiumsüchtiger “Kaufmann”, bezeichnen Mitarbeiter des Innenministeriums in Baku als größten Drogenhändler der Region. Machmedovs Goldzähne funkeln, wenn er sich mit großen Augen auf dem quietschenden Metallbett sitzend nach vorne beugt und sagt, dies sei Transitland: “Hier herrscht Krieg, ein Krieg ums Geld.” Niemand verkaufe hier Drogen, ohne Erlaubnis der Polizei: “Die Bullen sind hier die größten Drogenhändler.” Der ehemaliger Polizist Rofschan*, der in “Kolumbien” jahrelang führende Posten bekleidete, bestätigt, dass jene, die den Drogenhandel bekämpfen sollen, ihn organisieren und von Ministern gedeckt werden. Er sagt auch, warum trotz tonnenschwerer Lieferungen 2003 in Aserbaidschan lediglich 1,253 Kilo Heroin sicher gestellt wurden: “Als ich dem Innenministerium mal einen Tipp gab, machten sie eine Razzia, kamen hinterher zu mir ins Büro, legten zwölf Kilo Heroin auf meinen Schreibtisch und sagten: Hier, dein Anteil.” In Aserbaidschan, dem größten Land des Transkaukasus, leben 90 Prozent Muslime. Die wenigsten tragen Kopftücher oder gehen in die Moschee, der Ramadan wird gefeiert wie Weihnachten in Europa: Man isst und trinkt. Dennoch, in dieser islamisch-paternalistisch geprägten Welt hat der Staat gegen die Treue zum meist hunderte Menschen umfassenden Familienclan keine Chance. Autokratie hat in Aserbaidschan seit zehn Jahren einen Namen. Alijew. Der Clan um den gerade verstorbenen Präsidenten Heidar Allijew und seinen Sohn Ilham hat das Land in der Korruptionsweltrangliste unter den ersten zehn etabliert. Ministerposten sollen für 200.000 Dollar zu haben sein. Das Privatvermögen der Alijews wird auf zehn Milliarden US-Dollar geschätzt. Polizist Rofschan erinnert sich, wie vor Jahren der damals stellvertretende Ministerpräsident einen Freund bei ihm vorbeschickte. Rofschan hatte gerade 56 Kilo Opium und 3,5 Kilo Heroin beschlagnahmt. Der Besucher legte ein Couvert mit 100 000 Dollar auf den Schreibtisch und sagte: “Ich habe mit dem Minister gesprochen. Du solltest die Sache nicht weiter verfolgen.” *Name von der Redaktion geändert.