Das komplett von Google finanzierte “Institut für Internet und Gesellschaft” ist ein Armutszeugnis für die deutsche Forschungs-Gemeinde. Das Internet revolutioniert unsere Welt wie lange nichts mehr und die deutschen Hochschulen schaffen es nicht, zumindest ihre überschaubaren Aktivitäten in diesem Bereich unter einem Dach zu bündeln? Jetzt kommt Google, aktiviert den “Start up mode” (Google) und sagt: Leute, hier muss was passieren, wir brauchen ein Institut, dass sich allein ums Internet kümmert – hier sind 4,5 Millionen Euro für drei Jahre. Das sind 1,5 Mio. pro Jahr. Im akademisch Betrieb ist das nicht mehr als eine Anschubfinanzierung und reicht nicht mal für zwei Dutzend Institutsmitarbeiter.
Und das sollen die deutschen Hochschulen nicht selber stemmen können? 4,5 Millionen Euro, um die Auswirkungen des Internets auf unsere Gesellschaft zu erforschen? Natürlich wäre das Geld zu beschaffen gewesen – wenn die deutsche Wissenschaftsgemeinde gewollt hätte. Aber ihr ist das Internet nicht wichtig genug. Natürlich forscht man hierzulande am Urheberrecht, an Geschäftsmodellen, an Datenschutz. Aber international fallen deutsche Netz-Forscher nicht weiter auf und ein eigenes Institut? Nö. Aus ihrer Fehlplanung macht zumindest die WZB-Präsidentin keinen Hehl: “Wir haben uns auf andere Felder festgelegt.”
Jetzt könnte man sagen: Na, besser spät als nie. Aber so einfach ist das nicht. Weil die deutschen Wissenschafts-Entscheider zu beschränkt sind, die deutschen Forscher international nicht wichtig genug, muss Google Geburtshelfer spielen. Das kann man Google nicht übel nehmen. Die deutschen Netz-Forscher aber stehen blamiert da. Nicht nur, dass sie auf einen der größten Internet-Konzerne warten mussten, um ein Internet-Institut zu gründen. Sie lassen sich auch noch für lumpige 4,5 Millionen Euro Ihre Glaubwürdigkeit zerbeulen.
Natürlich wird Google ihnen nicht vorschreiben, was sie zu erforschen oder zu unterschlagen haben; natürlich behaupten alle, sie seien unabhängig und würden ihre Arbeiten nicht von Google abnicken lassen. Das wäre ja auch noch schöner.
Das Problem ist aber: Die Schere im Kopf fängt an zu schnippeln, lange bevor irgend jemand irgendwas verbieten könnte.
Wenn ein Wissenschaftler Vollzeit und zu 100 Prozent von Google finanziert zu – sagen wir – Datenschutz forscht, dann wird er irgendwann vor der Frage stehen, wie er mit Googles Diensten umgeht. Natürlich ist Verschweigen keine Option. Die Gewichtung ist aber mindestens ebenso wichtig: Muss man die Buzz-Pleite heraus heben? Wie hoch hängt man die Datensammelei der Android-Telefone? Wie genau schaut man sich Google Plus an?
Nie wird Google irgendwas unterdrücken wollen – das passiert von ganz alleine, weil sich die Forscher fragen werden, wie sehr sie den Geldstrom gefährden wollen, der sie komplett finanziert: Ist wirklich nötig, Google schon im Titel der Studie anzugreifen? Kritisieren, klar das machen wir, aber reicht´s nicht vielleicht auch im letzten Kapitel?
Und das Fatale ist: Selbst, wenn es den Wissenschaftlern gelingt, sich so zu entscheiden, als wäre es nicht ihr Geldgeber, den sie anpinklen: Den Verdacht der Befangenheit werden sie nicht los.
Und es ist ein Armutszeugnis, dass sich die Wissenschaft diesem Verdacht aussetzt, weil angeblich keine 4,5 Millionen Euro da sind.
Doch weil die deutsche Wissenschaft ist wie sie ist, ist es leider gut, dass Google den Schritt macht und den Zug endlich mal aufs Gleis setzt. Der Plan ist, andere Geldgeber ins Boot zu holen, damit die Internet-Forscher irgendwann auch ohne Stütze vom Google forschen können. Deswegen hat die deutsche Wissenschaftsgemeinde nur eine Möglichkeit, diese Peinlichkeit vergessen zu machen: Werft so schnell wie möglich so viel Geld wie möglich auf das Institut, bis es auf seine Unabhängigkeit nicht mehr hinweisen muss.
@Randerscheinung:
Ich überlege mir gerade, ob ich mich durch diesen Kommentar persönlich angegriffen fühlen soll …
Der Kommentar spricht mir – und den meisten meiner Kollegen – die Fähigkeit ab, unabhängig zu denken und alleine Entscheidungen zu treffen. Er spricht uns ebenso die Fähigkeit ab, Verantwortungsvoll mit Drittmitteln umzugehen und den Einfluß von Dritten (insbesondere Geldgebern) entsprechend zu würdigen. Weiterhin spricht er der Bevölkerung im Allgemeinen und Wissenschaftlern im besonderen die Fähigkeit ab, verfügbare Informationen entsprechend zu würdigen: zumindest im naturwissenschaftlichen Bereich ist es üblich, Interessenkonflikte bei Veröffentlichungen detailliert offenzulegen.
In meiner Erfahrung ist die Qualität von Studien, die von der Industrie gefördert oder durchgeführt wurden, oft erheblich besser als Studien aus rein akademischen Institutionen – das hängt nicht nur mit den verfügbaren Resourcen zusammen, sondern auch damit, daß Qualitätskontrolle dort eine erheblich größere Rolle spielt.
Es gibt sicherlich geschönte Studien, und die Geschichte der Tabakindustrie ist da natürlich sehr lehrreich (aber man kann sich auch andere Studien ansehen, z.B. Wakefield mit MMR); in den meisten Fällen vertraue ich jedoch in die Integrität meiner Kollegen. (Das ist wohl auch ein Grund, warum die Affäre Gutenberg et al. von vielen eben nicht als einfache “Schummelei” angesehen wird.
@Gux
Man muss sich nur mal ein oder zwei Semester Zeit nehmen und sich mit Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte beschäftigen – dann kommt man alleine und ganz ohne Google und @Randerscheinung auf diese Idee. Allerdings passen die Argumente nicht in einen kurzen Blogbeitrag.
Das alles ist nicht eine Frage der Offenlegung von Interessenskonflikten oder der Methodenkorrektheit, das Problem sitzt bedeutend tiefer. Wir lügen uns in den Wissenschaften nämlich seit geraumer Zeit mit dem Mythos der ach so einfachen Welt selber in die Tasche, die angeblich noch so einfach wäre, dass wir sie mit unserem kleinen “Verstand” methodenkorrekt untersuchen könnten. Das Tolle ist dabei: Fast alle fallen uns darauf rein und zahlen noch Geld dafür. Wer das Problem aber anspricht oder auch nur ein wenig Nachdenklichkeit an den Tag legt, der hat die längste Zeit mitspielen dürfen. Nestbeschmutzer, die offen Zweifel und Fragen aussprechen, will man nicht, denn sie verderben das lukrative Spiel.
Und weil in diesem Spiel ja nichts über die Länge der Publikations- und Drittmittelliste geht, haben wir zu der notwendigen Nachdenkerei ja auch gar nicht mehr die Zeit. Stattdessen machen die Doktoranden die Drecksarbeit: Wir gucken einmal kurz auf das Paper und, da wir ja auch eine Idee beigesteuert haben, stehen wir schon als Autor mit oben drauf und haben eine Veröffentlichung mehr. Diese wiederum hilft bei der Einwerbung der nächsten Drittmittel.
Das Gefährlichste in den Wissenschaften ist der naive Glaube an die Effizienz und Gültigkeit der wissenschaftlichen Methodik. Viel mehr als ein sich selbst stabilisierendes Meme ist das sozialpsychologisch nicht. Man muss dazu nur Kuhn, Feyerabend, Lakatos, Stegmüller, Fleck, Glasersfeld und andere lesen und auch diese mit Kritik und Selbstkritik. Das tun Naturwissenschaftler aber nicht – denn dafür gibt es keine Drittmittel.
@Philip sei dank für die notwendige Kritik am Institut. Ist aber nicht unser Steuergeld. Also nicht schlimm.
@Sens
Ich erlebe zur Zeit in meinem Gebiet einen Paradigmenwechsel, der dadurch ausgelöst wurde, daß manche meiner Kollegen genau das Problem der Vereinfachung angesprochen und eben nicht ignoriert haben. Sicherlich war das nicht einfach und es hat lange gedauert (und es gibt noch immer genug Zweifler, trotz überzeugender Daten), aber letztendlich hat es zum Erfolg geführt. Daher glaube ich noch immer daran, daß die wissenschaftliche Methode Erfolg hat, solange wir uns der Grenzen bewußt sind.
Die Einwerbung von Drittmitteln ist natürlich wichtig (ähnlich wie die nächste Beförderung, Einladung etc), und sicherlich sind dazu auch gute Veröffentlichungen notwendig. Allerdings muß man dazu auch bekannte Pfade verlassen und neue Ideen bringen (bei uns auch “Agenda Setting” genannt) – und das erfordert doch zwangsläufig, daß man die bisherige Arbeit in Frage stelt, oder?
Was ich hier nicht ganz verstehe ist die oft geäußerte Kritik an Drittmittelforschung. Ich bin aus verschiedenen Gründen fast vollständig auf Drittmittel angewiesen; das macht die Arbeit natürlich nicht leichter und kostet sehr viel Zeit – andererseits führt es jedoch auch dazu, daß man sich deutlich mehr Gedanken macht und zukünftige Projekte besser plant.
Der Gegensatz zwischen Geistes- und Naturwissenschaftlern mag dabei natürlich eine große Rolle spielen; meine bisherigen (beruflichen) Begegnungen mit Geisteswissenschaften (Pädagogen) haben immer zu ungläubigen Staunen auf meiner Seite geführt, weil mir die verwendeten Methoden sehr fremd vorkamen.
Interessante Diskussion :) Sobald unser Blog aufgesetzt ist, werden wir uns ebenfalls ins Gespräch einklinken. Eine objektive und kritische Behandlung des Instituts von allen Seiten ist uns wichtig, damit wir gute Arbeit leisten koennen. Sie koennen uns auch gerne auf der Website Vorschlaege unterbreiten, die uns dabei helfen, unabhaengig zu arbeiten und weitere Förderer an Bord zu nehmen. Was den lokalen Fokus angeht: wir werden natuerlich auch weitere Kooperationen anstreben und versuchen dabei moeglichst transparent vorzugehen. Danke @Jürgen Fenn für die Hinweise.
1) Solche wirtschaftliche Finanzierung ist zB in den USA Standard. Mit der Neuausrichtung der deutschen Forschungspolitik, ob man sie mag oder nicht, sind solche Finanzierungen (ebenso wie Stipendien) teil des Systems. Es ist Zeit, dass da auch endlich mal was passiert. Wenn man das als Fehler sieht (und ich stimme dem Author da zu), muss man sich zuallererst an die Politik richten, die diese Weichen trotz massivem Widerstand so gelegt hat.
2) Wenn man der Uni was ankreiden will, dann vielleicht eher die Selbstgefaelligkeit, Perspektivlosigkeit und Ideenlosigkeit der Gesellschaftswissenschaften. Man muss ihnen allerdings strafmildernd anrechnen, dass sie bei dieser Neuausrichtung nach Marktinteressen (siehe (1)) vergleichsweise schlecht abschneiden und genug mit sich selbst zu kaempfen haben.
@ gux
Ich möchte weder der Bevölkerung noch Ihnen ganz persönlich die geistige unabhängigkeit absprechen. Was die Bevölkerung also uns alle angeht – darauf setze ich als korrektive Kraft. Was Sie persönlich betrifft, im ggt. möchte ich Sie eher dazu ermutigen diese zu bewahren. Es gibt immer wieder Menschen die das schaffen – against all odds and obstacles. Dafür wünsche ich Ihnen viel Kraft, Mut und einen langen Atem. Jede/r weiss für sich selbst am besten an welchem Punkt sie/er die eigenen ideale verrät. Noch besteht ja auch kein Interessenkonflikt – aber sobald Ergebnisse Reglements nahelegen die Google möglicherweise das 10- oder 100-fache Ihres Budget kosten wird es einen Koflikt geben. Das liegt natürlich in der Hand der Forscher. Generell befürworte ich die Gründung des Instituts und bin gespannt…
Ein ausführlicher Kommentar zu der Neugründung des Instituts ist heute in der Berliner Gazette erschienen, der auch bisherige Kritik analysiert:
Titel: “Projektionsfläche für Romantiker: Googles “Institut für Internet und Gesellschaft” eröffnet in Berlin”
Teaser:
Das von Google gesponserte “Institut für Internet und Gesellschaft” weckt Sehnsüchte. Und zwar danach, die Welt, die im Zuge der Digitalisierung in teils schwindelerregende Bewegung geraten ist, wieder übersichtlich zu ordnen. Am liebsten nach alten Mustern! Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki fragt: Wie können wir diese romantischen Sehnsüchte überwinden? Und er denkt über jene Fragen nach, die – mit Blick auf die Neugründung des Instituts – von Bedeutung sind.
Titel der Sinnabschnitte:
1. Neue Welt, neue Ordnung?
2. Abhängigkeiten: Jenseits von absoluter Reinheit
3. Die Weltlage ist unbequemer als gedacht
4. Zivilgesellschaft und Wissenschaft im Dialog?
http://berlinergazette.de/institut-internet-und-gesellschaft-google/
Dass ein Google erst kommen muss, um eine Internetforschung in D-Land zu initiieren spricht Bände und wirft kein gutes Licht auf den Wissenschaftsstandort D-Land. Das Internet bleibt für viele einfach ein Buch mit sieben Siegeln, das man am besten gut abschliesst und weit nach hinten ins Regal stellt. Das gilt für die Medien, die Politik und die Wissenschaft.
Da hat wohl jemand DRadio gehört …
@Gux
Danke für die interessante Antwort.
Nach Kuhn findet in jeder Generation einmal ein Aussterben alter Paradigmen statt und erzeugt die subjektive Empfindung des Paradigmenwechsels, der Befreiung und des Erfolgs. Ich sehe das als eine Eigenschaft des Forschergeistes an, der das wahrnimmt, sowie der Soziodynamik; weniger als Eigenschaft der Wissenschaft oder der Methodik.
Dem Verlassen der Pfade stimme ich zu, auch dem in Frage Stellen. Sorge aber macht mir das Vokabel “Agenda Setting”. Es enthält – nach meiner Lesart – ein “Vorgeben worüber gesprochen werden soll” (im utilitaristischen Eigeninteresse) und hat mit neuen Ideen nichts zu tun, geht es doch um Lobbying worüber nachgedacht werden soll, mit dem Ziel, dass andere auf den Zug aufspringen, Zeitschriften, Tagungen oder die “richtigen” DFG-BMBF-EU Programme entstehen. Es ist meiner Meinung nach ein höchst manipulatives Geschäft um Ressourcen, das den freien Blick auf Gebiete
für Jahrzehnte trüben und beschädigen kann.
Auch ich bin auf Drittmittel angewiesen. Angewiesen in dem Sinne, als ich es machen muss, weil ich sonst finanziell und sozial geächtet werde. Diese Projekte arbeite ich relativ lustlos herunter, denn sie sind nicht Wissenschaft sondern Antrag-Abarbeiten und Trends und Erwartungen nachbeten. Wissenschaft passiert Samstag und Sonntag und in Freizeit. Dort entstehen dann auch die Publikationen, die der Lektüre wert sind und die andere zitieren, ein oder zwei gute alle fünf Jahre. Bei Drittmittel entstehen nur (zu) viele Zeilen-im-Abschlußbericht-Publikationen. Ich empfinde Drittmittel daher als massive Behinderung meiner Forschungsarbeit und ringe mich mit wachsendem Selbstbewußtsein und angesichts abnehmender Lebenszeit zum Nachdenken mehr und mehr durch, auf sie ganz zu verzichten.
Der Gegensatz Geistes- zu Naturwissenschaften ist mir als Naturwissenschaftler sehr vertraut, da ich intensiv den Diskurs suche und auch institutionell auf interdisziplinärer Leitungsebene aktiv bin. Die Methoden erschienen mir anfänglich auch sehr fremd. Das Gespräch zeigte dann: Das beruht auf Gegenseitigkeit. Auch meine Methoden erscheinen dem Kollegen fremd. Damit relativiert sich – für mich – sehr schnell das Vertrauen in das eigene Methodenrepertoire: Entstammt es nicht einer Gewohnheit, die deshalb nicht hinterfragt wird, während das nicht-Gewohnte bizarr anmutet. Wer aber den eingezäunten Kleingarten akzeptierter Methoden
verläßt, kann nicht mehr in Würde nachdenken: Er wird an den “Gut”achten der eigenen Kollegen scheitern, wenn er sein Fremdgehen nicht mit spektakulärsten Erfolgen verteidigen kann, was Glück braucht, das die wenigsten haben.
Das Problem ist doch weniger die drittmittelforschung. Die Drittmittelforschung ist gerade in Kostenintensiven Bereichen unersetzlich, das leuchtet selbst mir als Politikwissenschaftler ein. Die Abhängigkeiten sind da immer ein Problem, aber keins, was nicht in den Griff zu bekommen wäre.
Vor allem wenn nicht die gesamte Forschung auf eine Geldquelle angewiesen ist. Und das ist in diesem Fall doch das eigentliche Problem. Wenn nur ein Institut eine Forschung betreibt bleibt notwendigerweise die Vielfalt der Perspektiven und damit die Möglichkeit von unabhängiger Kritik auf der Strecke.
Würde die deutsche Wissenschaft abseits von einigen Informatikern und Netzutopisten (aka. Medienwissenschafltern) die Reichweite der Veränderungen der Gesellschaft durch das Internet endlich wahrnehmen, käme eine umfangreiche Forschung schnell von selbst in Gang. Was ich im alltäglichen universitären Umgang mit dem Internet allerdings viel zu häufig erlebe, ist eine Herabstufung des Internets – in der Wahrnehmung vieler Wissenschaftler in meinen Fachbereichen – auf einen schnelleren Post Service, der die Sekretariate entlastet und den Studierenden beim abschreiben hilft. Die Bereiche die sich mit dem Netz beschäftigen weisen oft einen der Art oberflächlichen Zugang und ein erschreckend geringes Abstraktionsniveau auf, dass man sich die Arbeit des Forschens gleich sparen könnte.
Solange kein Problembewusstsein entsteht, die Auswirkungen immer wieder kleingeredet oder auf spezial und Randphänomene – Urheberrechtsverletzungen oder Facebookparties – reduziert wird, wird es keine Umfassende Forschung geben. Und das ist die einzige Möglichkeit zu wirklich unabhängiger Forschung, Konkurrenz der Ideen und eine breite wissenschaftliche Debatte – dann sind auch die 4,5 Mio von Google kein ernstzunehmendes Problem mehr.
Habe ich jetzt doch glatt beim ersten Durchlesen statt “unersetzlich” gelesen dass Drittmittelforschung “unersättlich” ist. :-)
Mit Drittmittelforschung wird das erforscht, wofür es einen Geldgeber gibt, der zahlt, DAMIT das und das erforscht wird. Was ist mit den Themen, für die es keine Geldgeber gibt? Bei denen ökonomisches Interesse besteht, dass nicht darüber geforscht wird? Was ist mit den Fragen, deren Antworten nicht nur kein frisches Geld und keine neuen Produkte bringen könnten, sondern die uns zu einem echten Überdenken von Lebensstil und Gesellschaftsform führen würden?
Bruno hat man verbrannt, Galilei in den Hausarrest geschickt. Heute macht man es halt über Drittmittel, zeitlich limitierte Verträge und Leistungszulagen. Da sind die sichtbaren Kollateralschäden kleiner und das System daher stabiler. “Man” übrigens nicht im Sinne ominöser Verschwörungstheorie, mehr im Sinne eines kollektiven Massenwahns. Zwei Hausphilosophen und einen Ethiker als Feigenblatt – und sonst volle Kanne Industrieforschung. Nachdenklichkeit zählt doch nur mehr in der Einheit der Sozialkompetenz, Kulturwissenschaft in der Einheit der Auslandseinsatzfähigkeit und Work-Life Balance in der Einheit PR-wirksamer Gütesiegel für die Homepage. Der neugierige Faust als Forscher ist tot; wieviel aber gerade der Goethesche Faust in Faust II für die Gesellschaft tun konnte wird gerne verkannt – zu mehr als der Zusammenfassung für Schnellsieder und Smalltalker auf Wikipedia reicht es vor lauter Zeit- und Kosteneffizienz nämlich meist nicht mehr. :-)
@Wie Senns (und andere)
Ich glaube es gibt hier ein kleines Missverständnis wegen des “Agenda Setting” – es geht dabei nicht darum, daß ein bestimmtes Thema vorgegeben wird sondern vielmehr daß eine Veröffentlichung dazu führt, daß das entsprechende Thema von anderen Wissenschaftlern aufgegriffen und zu einer Priorität gemacht wird. Man könnte z.B. Newton als “Agenda Setting” beschreiben … Planen lässt sich das schlecht, andererseits hofft natürlich jeder, daß die eigenen Ergebnisse so interessante sind, daß sie von jemand anderem gelesen und ernst genommen werden.
Die Drittmittelforschung sehe ich doch ganz anders: die Projekte, an denen ich Arbeite, sind eigentlich alles Projekte, an denen ich arbeiten will, insofern gibt es da keinen Widerspruch. Diskussionen mit dem Sponsor sind in der Regel sehr konstruktiv und es gibt immer die Möglichkeit, vom eigentlichen Ziel abzuweichen. Sicher gibt es Einschränkungen, aber im Vergleich zu denen die die Univerwaltung produziert sind sie vernachlässigbar. Vielleicht sind einfach unsere Erfahrungen verschieden oder es sind sehr unterschiedliche Sponsoren?
Das Verlassen eingefahrener Wege ist immer ein Problem – ein “haben wir immer schon so gemacht” dürfte es schon immer gegeben haben (und wird uns wohl auch in der Zukunft erfreuen). Es ist einigermaßen ärgerlich, besonders wenn ein Gutachter einen Antrag mit dem Kommentar “das ist eine neue Idee, und wir wissen nicht, ob sie funktioniert” ablehnt. Andererseits kann man sich damit irgendwie arrangieren und die neuen Ideen in alten verstecken. Aber eine derartig fortschrittsfeindliche Einstellung findet man überall – wahrscheinlich wird man selber auch einmal so.
@Gux
Aus meiner Sicht ist das Missverständnis bei “Agenda Setting” keines. Ich hatte das auch so verstanden:
> andererseits hofft natürlich jeder, daß die eigenen Ergebnisse so interessante sind, daß
> sie von jemand anderem gelesen und ernst genommen werden.
Das werte ich eben als ein Indiz, dass Wissenschaft primär ein soziales System ist mit Hackordnungszielen und weniger ein System abgestimmter Methoden.
Wohin führt es uns, wenn diese Hoffnung auf gelesen Werden, ernst genommen Werden und als interessant Gelten stärker wird? Wird das wahrgenommen-werden Wollen nicht rasch stärker als das wissen Wollen? Solches hatte ich oft beobachtet und es macht mich traurig. Der Zusammenhang zu Googles Geschäftserfolg (PageRank = Google Rank = Ranking nach wahrgenommen Werden) ist mehr als beiläufige Ironie.
Ich bekomme dann und wann auch mal Drittmittelprojekte durch, industriell wie staatlich. Mein Erfahrungswert ist leider, dass ich die Herzensthemen, an die ich glaube, gerade nicht durchbekomme, bedauerlicherweise fast zu 100%. Machen muß ich sie trotzdem, mein Interesse ist da zu stark. Diese statistische Eigenwilligkeit meiner Erfahrung prägt meine Ansicht zu Drittmitteln schon stark, sie werden somit eben zu den ungeliebten Kindern, die mich vom eigentlich Wichtigen abzuhalten drohen.
Ich äußere mich hier nicht als Wissenschaftler, der den Universitätsbetrieb aus eigener Anschauung kennen würde, sondern als ein unbefangener Bürger.
Inwieweit die Finanzierung durch Firmen ein wissenschaftliches Ergebnis beeinflussen kann, ist nicht nur eine Frage von Direktiven sondern ebenso, das hat der Verfasser des ursprünglichen Beitrages sehr deutlich gemacht, auch eine Frage von wissenschaftlicher Aufrichtigkeit angesichts der Möglichkeit, dass die Mittel gänzlich gestrichen werden oder zumindest soweit gekürzt werden, dass sein eigener Posten auf dem Spiel steht.
Also wie so oft der unberechenbare Mensch. Wissenschaft ist schließlich nicht von den Menschen abgehoben, die sie betreiben.
Wissenschaftler haben ebenso wie jeder andere Mensch Ängste und Hoffnungen. Ebenso wie jeder andere haben sie einen mehr oder minder ausgeprägten Ehrgeiz, der nicht nur zu fragwürdigen Doktorarbeiten führt. Obwohl das im Moment wohl eher ein Thema von Politikern zu sein scheint, die sich gerne mit einem wissenschaftlichen Attribut schmücken.
Gerade heute wurde auch Spiegel de das Ergebnis einer Untersuchung über Wirtschaftlichkeit und Umwelt-Schädlichkeit Bahn contra Lkw veröffentlicht und kommentiert.
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,773715,00.html
Wundert es jemanden, dass die bahnfreundlichen Gutachten von der Bahn beauftragt worden waren und das neue, Lkw freundliche Gutachten von der Autoindustrie? Es ist eine Frage der Paradigmen, zu welchem Ergebnis man kommt. Die Paradigmen werden je nach Auftraggeber verschieden gestellt.
Ich trage mich angesichts der Finanzierung des neuen Institutes durch den vermutlich Daten hungrigsten Konzern, ob Fragen nach Datenschutz, der Zusammenführung von Daten, des Weiterverkaufs von Daten
http://www.sueddeutsche.de/digital/gespeichterte-nutzerdaten-google-plant-die-super-datenbank-1.1119600
in diesem Institut überhaupt gestellt werden, wobei es auffälligerweise ohnehin überwiegend juristische Fakultäten sind, die sich in dem neuen Institut mit Internetfragen befassen sollen. Oder ob man nicht lieber einen großen Bogen um diese für den Schutz unsrer Privatsphäre ganz wichtigen Fragen macht, um den bislang einzigen Finanzier nicht zu verärgern.
Ich war ohnehin überrascht, dass die Freie Universität Berlin nicht teilnimmt, obwohl dort profundes Wissen zu allen möglichen Themen des Internets vorhanden ist. So administriert die FU-Berlin zum Beispiel bereits seit vielen Jahren das deutschsprachige Usenet. Doch ausgerechnet die technischen Experten scheinen außen vor zu bleiben.
Da stellt sich dann wirklich die Frage, ob Google nicht letztendlich auf wissenschaftlichen Segen aus ist und Wissenschaftler, die sonst vielleicht arbeitslos würden, mit dem Auftraggeber willig Hand in Hand arbeiten.
Ein Wissenschaftler, der bezüglich seiner Stelle vollständig von einem Auftraggeber abhängig ist, mag sich einbilden, dass er dennoch objektiv an die Sache heran geht, er kann nicht objektiv sein ohne sich und seine Stelle zu gefährden oder zumindest irgendwo im Hinterstübchen Angst davor zu haben. Mal ganz abgesehen davon, dass ein Messinstrument vielleicht noch halbwegs objektiv ist (wir wissen alle, dass alleine die Tatsache einer Beobachtung beziehungsweise Messung das beobachtete bereits verändern kann), doch objektive Menschen sind mir noch nie über den Weg gelaufen, dafür jedoch jede Menge, die sich einbilden, objektiv zu sein. Noch nicht einmal ein Objektiv ist wirklich objektiv. Erst recht nicht der Mensch, der es bedient.
@Wie Sens
Ich glaube doch an ein Missverständnis – als Wissenschaftler ist es mein (und vermutlich auch Dein) Ziel, Fragen zu stellen und hoffentlich auch zu beantworten. Dabei ist es natürlich sehr hilfreich, wenn man dabei Unterstützung von Kollegen – zum einen mit Kritik, aber natürlich auch, in dem die Ideen aufgenommen und weiterverarbeitet werden. Man ist ja auch auf einen Diskurs angewiesen.
Daß es natürlich auch eine Hackordnung gibt, ist klar.
@Gux: Ja, Fragen stellen und Antworten versuchen. Und, ja: Kritik, Diskussion, Ideen anderer. Aber wo grenzen wir das ab von dem “und wenn der Mayer und die Schmidt das beim BMBF einbringen und ein Forschungsprogramm daraus wird ist das auch nicht so verkehrt”?
In den 2, 3 BMBF Programmen der letzten ca. 8-10 Jahre, die exakt auf den Themen waren, in denen ich die Szene nun wirklich gut kenne, war mir bei 90% der Fokuspunkte klar, wer die dann bearbeiten wird. Das klang genau so, wie bei Müller und Schulze im letzten Projektbericht. Und wie beim Meeting in Y besprochen. In manchen Kreisen wird das völlig bewusst und zielgerichtet aufgeteilt. Ich mach das und Du machst jenes und unser Freund Johannes macht dieses Thema. Und dem Referenten im BMBF hat man das dann “gesteckt”.
Diskurs? Mit wenigen, sehr wenigen ganz jungen Kollegen, oder mit den alten Hasen, die es sich wieder leisten können, nachzufragen. Die anderen sehen auf die Uhr. Die anderen 3 Drittmittelprojekte wollen ja auch noch ihre Besprechungsrunden und dann ab zum Golf mit dem Kanzler. Diskurs? Fragen? Ideen? Ja. Fehlen mir. Die Partner dazu muß man von Hand auslesen. Sehr selten.
@Wie Sens
Ich glaube, wir müssen unterscheiden zwischen geförderter Forschung und guter Forschung, und einen Weg finden, beides miteinander zu kombinieren. Und bei Diskussionen findet man genau diese Unterscheidung sehr oft. Man weiß, was man will, man weiß, was gefördert wird, und man kombiniert das geschickt.
Die von Dir beschriebene Methode der Verteilung von Fördermitteln kenne ich natürlich auch – sehr ärgerlich, wenn man nicht dabei ist, und sehr angenehm, wenn man es ist … (da diejenigen, die das ändern könnten, meistens auch die sind, die davon profitieren, wird sich das wohl kaum so schnell ändern). Ich kenne die Situation in D nicht so gut – bei uns werden vier bis fünf Gutachten eingeholt und danach entschieden; das ist zwar nicht ideal, allerdings Verteilt es die Macht ein wenig. Es ändert aber nichts daran, daß risikoarme Ideen mehr Erfolgsaussichten haben als neue Ideen.
Aber zurück zu den Diskursen: bisher hatte ich mit den meisten Kollegen, mit denen ich zusammenarbeite, sehr gute Diskussion. Sicher, es gibt die üblichen Ausnahmen, die sich für so etwas zu schade sind, aber in der Mehrheit habe ich diese bisher noch nicht erlebt. Leider sind solche Diskurse meistens aber auch sehr niederschlagend, weil die eigenen Fehler viel zu schnell sehr offensichtlich werden.
@Gux
Gute Diskussion mit Dir. Danke.
In D ist es teilweise ähnlich. Bei der DFG sind es 2, 3 Gutachten, aber die Entscheidung im sog. Hauptausschuß (und die Sympathie dessen, der die Sache dort vertritt) ist am wichtigsten. Beim BMBF und anderen Mini-Sterien ist es meistens Programmforschung: Referent X geht mit Prof Y essen und mit Ministerialdirigent Z – dabei kommt dann raus, was gefördert werden soll. Nepotismus und politischer Utilitarismus vom Feinsten. Gefördert wird aber typischerweise der Gutachter-Mainstream.
Gelegentlich bekommt man ja durch die komischten Zufälle Gutachten auf den Tisch. Bei einem Gutachten eines mir dann nicht genehmigten Projekts schrieb Gutachter A aus B erst viel Positives über das Projekt und meinte dann, forschungspolitisch solle man ja doch eher das Thema C fördern. Welches, was für ein Zufall, in B und von A intensiv betrieben wurde. Das schrieb er aber nicht im Text. A ist immer noch Privatdozent in B als Spezialist für C. Ich bin mittlerweile an der dritten Uni seit damals. Mein damaliges Thema habe ich gewechselt, nachdem ich darin einen Preis gewonnen hatte. Jetzt meinen die Gutachter natürlich zu meinen Anträgen “Hat aber erst 3 Publikationen als Vorarbeiten zum Thema”, bis ich aber die gebietstypischen 10 Arbeiten habe, bin ich schon wieder in einem neuen Thema. Naja. Selber schuld. Dafür habe ich immer spannende Themen.
Das Problem bei geförderter Forschung ist halt einfach, dass sie stark von Betrug und Selbstbetrug lebt. Wer es – wie Du – schafft, gut und geförderte Forschung zu kombinieren, hat Glück. Ich schaffe es nicht. Mich hält der Druck zu geförderter Forschung oft davon ab, was Sinnvolleres zu denken. Das finde ich halt ärgerlich und daher meine Aggression gegen Drittmittel. :-)
@Wie Sens
Vielen Dank, das Kompliment gebe ich gerne zurück.
Bei uns werden Anträge normalerweise von 1-10 bewertet und gemäß der Durchschnittsbewertung gefördert (oder in den meisten Fällen nicht). Das kling zumindest ein wenig objektiver – ob es das ist, ist natürlich wieder eine andere Fragen.
Ich interessiere mich hauptsächlich für analytische Methoden – die Anwendung ist dabei eher flexibel, und wahrscheinlich ist es für mich daher einfacher, mich mit geförderter Forschung anzufreunden, denn Methoden selbst sind zwar wichtig, aber wohl erheblich seltener politisch brisant. Allerdings gibt es bei uns auch keine andere Art der Förderung, insofern muß man natürlich auch pragmatisch sein.
Na, da haben sich ja zwei gefunden ;) Vielen Dank für Euren sehr aufschlussreichen Input auch von hier.