Das Prinzip Wikileaks

Anlässlich der Verhaftung von Julian Assange habe ich für den Deutschlandfunk einen Kommentar geschrieben. Hier der Text.

Das Prinzip Wikileaks

Ob Julian Assange Frauen vergewaltigt hat, wissen wir nicht. Der Wikileaks-Gründer bestreitet alle Vorwürfe und beschuldigt die USA, hinter den Haftbefehlen zu stecken. Ob das stimmt oder nicht, ist zweitrangig. Schon jetzt ist der Feldzug gegen Wikileaks ein Armutszeugnis für alle Demokratien, die keine Gelegenheit auslassen, das hohe Gut der Redefreiheit zu preisen. Im Land der Freiheit kämpfen Politiker jetzt im chinesischen Stil gegen den Boten vieler schlechter Nachrichten – und Weltkonzerne machen mit: Wikileaks-Server werden von unbekannter Quelle lahmgelegt, Amazon verbannt das Projekt von seinen Rechnern, Paypal und Mastercard sperren Wikileaks-Konten, die Washington Times legt nahe, Julian Assange einfach umzubringen. Warum? Wikileaks hat keine Gesetze gebrochen, keine Dokumente gefälscht. Die Website hat schlicht Informationen veröffentlicht, die die USA für geheim und gefährlich halten – so geheim und gefährlich, dass die USA offiziell 2,5 Millionen Menschen Zugriff auf die Daten gewährten. Wikileaks läutet ein neue Ära des Informationszeitalters ein: Menschen sehen so klar wie nie, was ihre Vertreter machen. Deswegen machen die Amerikaner Jagd auf Assange.

Wikileaks ist nicht perfekt: Prozesse sind intransparent, die Organisation unter Assange autoritär und mitunter verantwortungslos, weil Dokumente veröffentlicht wurden, ohne Gedanken zu verschwenden an die Folgen der Veröffentlichung. Doch Wikileaks lernt. Die aktuellen Botschaftsdepeschen gehen erst online, wenn Journalisten, Gefahr und Nutzen abgewogen haben – auch nicht optimal, weil wieder Torwächter stehen zwischen Publikum und Tatsachen.

Aber das alles ändert nichts daran: Das Prinzip Wikileaks ist keine Gefahr, sondern ein Segen für die Demokratie. Mehr als das Geheimnis braucht die Freiheit nämlich Transparenz. Und für die sorgen traditionelle Medien immer seltener: Geldmangel, Überforderung und Angst vor Klagen haben die vierte Säule der Demokratien angefressen, ihre Tragfähigkeit verringert. Wikileaks wird die Säule wieder stärken. Gefährlich sind an Wikileaks nur die Methoden, mit denen das Projekt bekämpft wird.

Wikileaks gehört daher nicht verfolgt, sondern unterstützt. Auch Deutschland sollte endlich ein Gesetz erlassen, das Whistleblower schützt, Menschen also, die Geheimnisse an die Öffentlichkeit bringen, weil sie Missstände beheben und die Demokratie stärken wollen.

Sollte Assange Frauen tatsächlich vergewaltigt haben, muss er bestraft werden. Das würde aber nichts an Wert und Wirkung von Wikileaks ändern. Kopieren und anonym verteilen gehört zu den Spezialdisziplinen des Internets. Es wird neue Wikileaks geben und weniger Geheimnisse. Die Zahnpasta, so ein amerikanische Redewendung, kannst Du nicht wieder in die Tube drücken. Was die Geheimniskrämer dieser Welt auch versuchen – sie werden Wikileaks nicht aus der Welt schaffen – nicht die Website und schon gar nicht die Idee.

7 Gedanken zu „Das Prinzip Wikileaks“

  1. Einer der besten Kommentare, die ich zu dem Thema gehört und gelesen habe: Sachlich und ohne “Tunnelblick”.
    Danke!

  2. Wikileaks hat vieles falsch gemacht. Aber im Vergleich zu dem, was da auf Druck der US-Regierung geschieht, sind diese Fehler von Assange und seinen Mitarbeitern wohl das kleinste Problem.

  3. Es ist wirklich der beste Kommentar , mit Freude habe ich Zugehört.USA muss Demokratie aufs neu lernen…aus Angst habe es chon vergessen was das ist..kiki

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